TEIL3

Das waren gute Zeiten gewesen. Schöne Zeiten.

Dann hatte Ethan erklärt, er würde sein Geld nehmen, es investieren und sich zur Ruhe setzen. Er hatte Rosemary angeboten, sich ihm anzuschließen, aber sie hatte abgelehnt. Sie war glücklich mit dem, was sie tat. Sie hatten sich mühelos getrennt, auf angenehme Weise, mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss und einem Augenzwinkern. Danach sah sie ihn ab und zu, und jedes Mal, wenn sie zusammen waren, war es, als sei überhaupt keine Zeit vergangen. Ihre Körper erinnerten sich der Berührung des anderen, und ihre Gedanken, die einander so ähnelten, genossen die Gelegenheit, zu erfahren, was der andere inzwischen erlebt und getrieben hatte.

Es war für sie beide die perfekte Beziehung. Hatte er andere Geliebte, wenn sie nicht bei ihm war? Wahrscheinlich, aber auch das kümmerte sie einen Dreck. Sie hatte sich entschlossen, keine anderen Beziehungen zu haben, aber das war ihre Entscheidung, die auf ihren Bedürfnissen und Wünschen beruhte.

»Meine Quellen haben mir schon etwas geflüstert, noch bevor ich deine Nachricht erhielt, und ich will verdammt sein, wenn ich nicht dachte: Ich frage mich, ob Trouble in diese Sache verstrickt ist.« Er grinste, und obwohl es sich um eine aufgezeichnete Nachricht handelte, grinste sie zurück.

»Ich weiß, du konntest mir nicht die ganze Geschichte erzählen, aber das könnte deine bislang beste Erfahrung sein. Ich freue mich schon darauf, sie bei einer Flasche Wein zu hören. Ich würde ja sagen, pass gut auf deine Fracht auf, aber das tust du ja immer, wie ich weiß. Laut unseren Berechnungen ist der Ort, an dem wir uns zum ersten Mal trafen, nicht weit von dir entfernt. Komm dort zum größten Wasserloch, und es wird jemand da sein, den du erkennst und der dir helfen wird. Ich freue mich auf unser Wiedersehen.«

Rosemary freute sich auch. Abgesehen von dem Wiedersehen mit Ethan lockte auch die Flasche Wein, von der er gesprochen hatte. Dieser Wein würde besser sein als alles, was sie in letzter Zeit getrunken hatte, denn zu Ethans »Geschäften« gehörte auch der Schwarzmarkthandel. Wahrscheinlich würde er auch eine wirklich gute Zigarre für sie bereithalten, auch wenn er ihr im selben Atemzug Vorhaltungen machen würde, dass sie wieder in alte Gewohnheiten abglitt.

Ganz kurz wünschte sie, er hätte etwas Härteres für sie, dann schüttelte sie diesen Gedanken ab. Die Sucht hatte sie bezwungen, und Ethan war es gewesen, der ihr dabei geholfen hatte. Es hatte ihr sehr viel mehr abverlangt, als es ihr je gegeben hatte, und Rosemary mochte es nicht, an irgendjemanden oder an irgendetwas gebunden zu sein.

Der Ort, von dem er gesprochen hatte, war eine gefährliche Stadt auf einem gefährlichen Planeten. Der Planet trug eine furchtbar langweilige offizielle Bezeichnung, D-3974, und eine einfallsreichere inoffizielle: Dead Man’s Rock. Das größte Wasserloch war eine Kloake von einer Stadt namens Paradise, wobei der Name nicht dafür stand, wie schön die Stadt war, sondern vielmehr darauf hinwies, wohin man geschickt wurde, wenn man dort eine falsche Bewegung machte.

Das Dominion wusste davon, unternahm aber nichts – das Ganze war zu weit weg und zu schwierig zu überwachen.

Rosemary stand auf, stieg über den leise schnarchenden Jake hinweg und schaute nach, was von ihren Vorräten noch übrig war. Nicht sehr viel, obwohl sie während der vergangenen paar Tage sparsam damit umgegangen waren.

Rosemarys Plan hatte vorgesehen, einen ziellosen Kurs zu fliegen, damit man ihnen nicht nachspüren konnte. Eine kluge Taktik, und bisher hatte sie auch funktioniert. Aber jetzt konnte sie nicht länger Treibstoff und Zeit mit solchen Manövern vergeuden, jetzt musste sie geradewegs auf ihr Ziel zusteuern.

*

Blut. Wut. Hass auf sich selbst, auf andere, auf die Ihan-rii… Nein, nein, wir lieben sie, wir dürfen sie nicht hassen dafür, dass sie uns verlassen. Wir sind voller Makel, wir sind voller Makel -.

Jacob?

Mach, dass es aufhört! Bitte, lass es aufhören…

Im Schlaf griff Jake nach seinem Kopf, um die Finger hineinzukrallen. Seine Augen schossen hinter den geschlossenen Lidern rasend schnell hin und her.

Es ganz zu stoppen, würde meinen Zweck zunichte machen. Aber ich kann dir helfen, damit umzugehen. Es zu verstehen. Ohne Angst zu sehen, zu fühlen und zu hören.

Ich will, dass es aufhört! Ich wollte das nicht, ich habe nicht darum gebeten! Ich will, dass es verschwindet. Du hast es bereits benutzt, um Dutzende von Menschen umzubringen. Warum sollte ich dir trauen?

Weil du keine andere Wahl hast. Du hast Recht, du kannst mit diesen Erinnerungen nicht allein fertig werden. Ich kann dir helfen. Wenn du mir nicht erlaubst, dir zu helfen… wirst du wahnsinnig, und all meine Bemühungen… all die Erinnerungen wären verloren. Und der Tod deiner Freunde wäre völlig umsonst gewesen.

Es war der letzte Satz, der seinen Widerstand brach.

na gut.

In seinem Traum sah er, wie Zamara nach ihm griff, so wie sie es zuvor schon getan hatte. In seinen Augen war sie nicht schön, aber sie war graziös und stark. Sie streckte eine Hand aus – zwei Finger, zwei Daumen –, und er reichte ihr die seine. Wieder erinnerte er sich an die Spirale aus Licht, den Goldenen Schnitt. Er spürte die Wärme und Zuneigung, die von ihr ausgingen.

Bald wirst du auch das verstehen. Und warum ich mich dafür entschied… und was dich einzig machte. Von all jenen, die den Tempel hätten finden und den Code hätten begreifen können, warst du es, Jacob Jefferson Ramsey. Nimm meine Hand. Wir werden diese Sache ganz ruhig bewältigen, sie nicht angstvoll und Ignorant durcheilen.

Träumend und so ruhig, wie er es seit Beginn dieser ganzen Angelegenheit nicht mehr gewesen war, nahm er ihre Hand.

*

Diesmal trug Jake den Leichnam des toten Feindes, als er und Savassan durch den Dschungel zur Höhle der Omhara marschierten. Die Sonne ging unter, und der Dschungel erwachte zu seiner wahren Lebendigkeit. Geräusche vibrierten über seine Haut, Gerüche erfüllten ihn und fluteten über ihn hinweg, während Jake vorsichtig weiterging, den toten Protoss wie ein Kind auf den Armen. Erst jetzt war es der Akilae wert, sanft behandelt zu werden, denn erst jetzt war er den Shelak von Nutzen. Denn nun war der Akilae eine Opfergabe.

*

»Ich bin auch hier… aber ich kann nicht kontrollieren, was im Körper geschieht«, sagte Jake zu Zamara. Er war nun zur Gänze an diesem Ort, seine Essenz in Temlaas Körper, als befände er sich in einem Fahrzeug, das auf Autopilot geschaltet war. Er sah mit Temlaas Augen auf den Toten hinab, den er trug, und ihm wurde schlecht. »Sind das… ist er wirklich ein Protoss? Er sieht überhaupt nicht so aus wie auf den Holovids.« Er erinnerte sich an die Bilder von strahlenden, präzisen, kontrolliert agierenden Kriegern in schützender Rüstung. Selbst das zerstörte Schiff Zamaras, das er gesehen hatte, strahlte Eleganz und Dominanz aus.

Diese Dinger hingegen, die hier herumrannten, wild und tödlich, bemalt und bedeckt mit Knochen und Federn…

Zamara, die in Jakes Körper und Gehirn so präsent war wie er in Temlaa, wischte solche Gedanken beiseite. »Das sind unsere Ursprünge«, sagte sie. »Von hier stammen wir. Es ist wichtig, dass du begreifst, was wir einmal waren, damit du verstehst, wie wir wurden, was wir sind.«

»Kannst du es mir nicht einfach erzählen?«

»Es geht nicht um das Erzählen. Es geht nicht einmal um das Zeigen. Es geht nur um… das Sein.«

*

Jakes Schritte wurden langsamer, während er sich der Höhle der Omhara näherte. Er wandte sich mit geweiteten Augen an Savassan, und Savassan sandte ihm einen beruhigenden Gedanken. Nicht zum ersten Mal dachte Jake darüber nach, wie andere Geschöpfe Nahrung fanden. Für die Protoss war es einfach – der Weiße Kreis der Nacht und die Goldene Kugel des Tages erwiesen den Protoss ihre Gnade und nährten sie. Ihr Licht und das ihrer Kinder – kleinere glitzernde Himmelsjuwelen, die bei Nacht erschienen –, war alles, was die Protoss brauchten, um zu gedeihen. Andere Wesen töteten für ihre Nahrung. Manchmal beneidete Jake sie. Wie gut es doch täte, das Fleisch eines gefallenen Feindes zu nehmen, um es sich einzuverleiben. Wie ließe sich größere Überlegenheit gegenüber dem Gegner demonstrieren als durch den Verzehr desselben?

Die Omhara knurrte in ihrer Höhle. Jakes Gedanken konzentrierten sich augenblicklich.

»Sei vorsichtig«, sandte Savassan. »Sie kann deine Furcht wittern. Lege deine Opfergabe nieder, bedanke dich und dann geh.«

Nervös tastete Jake mit seinen Gedanken um sich und berührte die der Omhara. Sie war primitiv, nieder, schlicht, aber sehr stark und ganz auf ihn fixiert. Jake konnte den Atem der Omhara hören und in der Dunkelheit der Höhle ihre drei schimmernden Augen sehen.

»Omhara, o du Große, geschmeidig von Gestalt und scharfen Zahnes, wir bringen dir dieses Opfer dar, das wir getötet haben. Möge sein Fleisch dir munden und –«

Ein Huf berührte mit leisem Geräusch den Boden. Sie kam.

»Grundgütiger«, murmelte Jake im Schlaf, plötzlich wieder er selbst.

»Savassans Rat gilt auch für dich«, sagte Zamara. »Sei vorsichtig, Jacob. Nichts, was du hier siehst, kann dir wehtun. Aber du kannst auch nichts ändern, was geschieht. Halte fest, was du bist.«

*

»… und mögest du uns deinen Segen geben«, beendete Jake seinen Satz rasch und wich zurück. Er spürte die Gedanken des Dings – neugierig, konzentriert, angespannt. Jetzt witterte es das Opfer, und seine Gedanken drehten sich einzig um Hunger und Fressen.

Er erhaschte in den düsteren Schatten einen flüchtigen Blick auf die Omhara, während er und Savassan in Sicherheit eilten.

»Das hast du gut gemacht«, sagte Savassan. »Ich bin froh, dass ich sie nicht angreifen musste. Sie ist trächtig.«

»Wirklich?«

Savassan lachte, schloss halb die Augen und neigte den Kopf auf eine Weise, die unter den Protoss sanften, freundlichen Humor zum Ausdruck brachte. »Du hast noch viel zu lernen, wenn du die Gedanken von etwas lesen willst, das anders ist als du selbst.«

»Das mag wohl sein. Aber ich werde es schon noch lernen«, sagte Jake mit einem Anflug von Hochnäsigkeit. »Ich bin ein Shelak. Wir sind die Auserwählten der Ihan-rii. Diejenigen, die sie auf Aiur über alle anderen erhoben haben, um sie zu formen und zu schützen.«

»Wir wurden auserwählt, aber wir wurden auch verlassen«, erinnerte Savassan ihn. » Und das ist es, was mich fortwährend daran denken lässt, dass wir unseren Hochmut zügeln müssen. Nur wenn wir herausfinden, warum die Ihan-rii uns erst erwählten, um dann unzufrieden mit uns zu werden, können wir angemessen urteilen.«

Die Ansicht, die Savassan damit zum Ausdruck brachte, war es, wie Jake glaubte, was so viele verwirrte. Augenblicklich wünschte er, den Gedanken nicht gedacht zu haben. Savassan erwiderte in Jakes Geist: »Natürlich, natürlich. Und doch lassen sie mich herumstochern und suchen und fragen.«

»Es gibt nur wenige unter den Shelak, die mehr respektiert werden als du«, erwiderte Jake, und das stimmte. Savassan nahm die Bemerkung als die Tatsache hin, die sie war.

»Ich frage mich manchmal, ob das Herumstochern und Suchen nicht genau der Grund ist, weshalb ich respektiert werde, obwohl es die meisten verwirrt.«

Jake schämte sich und schirmte seine Gedanken ab. Savassan wechselte das Thema.

»Ich mag diese Zeit des Tages«, sandte Savassan an den jüngeren Protoss. Dunst lag dicht und schwer in der Luft. Die Erde unter ihren bloßen Füßen war feucht, während sie in großen Sprüngen heimwärts liefen. »Es ist eine Zwischenzeit… eine machtvolle Zeit. Nicht mehr wirklich Tag, aber noch nicht Nacht. Die Artefakte sind ebenso. Sie sind Zwischendinge. Sie sind stofflich, solide, real… und doch mehr als nur das.«

Erregung durchflutete Jake. Er liebte es, wenn Savassan von den Artefakten sprach. Niemand wusste mehr über die geheimnisvollen Relikte als Savassan. Jake wusste, dass es Savassan bekannt war, wie der jüngere Protoss nach Wissen gierte. Er wollte mit Savassan arbeiten, ein Hoher Hüter der Geschichte werden, so unvollständig und brüchig sie auch sein mochte.

» Bitte… erzähl mir mehr…«

Savassan wandte sich ihm zu. Seine großen Augen blinzelten nicht, als seine Gedanken die von Jake sondierten.

»Ja… ja, ich glaube, du bist bereit, um mehr zu erfahren. Ich habe eine Theorie, über uns, über die Artefakte. Ich glaube… ich glaube, auch wir, die Protoss, befinden uns in einem Zwischenstadium. Wir sind nicht mehr, was wir waren, und wir sind noch nicht, was wir werden sollen. Und doch ist beides in uns. Die Relikte, die Artefakte… ich denke, sie haben uns eine Geschichte zu erzählen.«

»Aber… das sind keine Lebewesen. Sie denken nicht. Sie haben nicht einmal Münder wie die niederen Wesen, um zu kommunizieren. Wie sollten sie uns etwas erzählen können?« Savassan lachte wieder. »Ach, Temlaa, wie so viele unseres Volkes nimmst auch du alles zu wörtlich.«

Jake zog beschämt den Kopf ein. Savassan legte ihm in einer freundlichen Geste eine Hand auf die Schulter. »Daran ist nichts Falsches. Aber ich glaube, du kannst mehr begreifen, als das, was unser Volk bislang begriffen hat. Ich glaube, diese Artefakte beherbergen irgendwie… Wissen.«

Sie hatten die Stelle erreicht, an der sie ihre Waffen versteckt hatten, ehe sie zur Omhara gingen, und Savassan hob seinen Speer auf. Jake folgte ihm; Neugier stieg in ihm auf. Savassan hielt seinen Geist sorgsam leer, bis auf eines, das er ihm übermittelte: »Ich möchte, dass du dies ohne irgendwelche Hilfe von mir siehst, Temlaa.«

Jake atmete kaum, als er Savassan zu einem Fleck feuchter Erde folgte. Das Licht schwand, aber die Augen eines Protoss waren scharf, und Jake war so konzentriert, dass alles fast schmerzhaft deutlich hervorstach.

Savassan bückte sich, strich den Flecken Erde glatt und entfernte alle Steinchen und jeden Grashalm. Er blickte zu Jake hoch und dann wieder zu Boden. Den Speer umklammernd begann er, die Spitze durch das Erdreich zu ziehen.

Formen erschienen, Linien folgten der Speerspitze. Jake sah stirnrunzelnd zu. Ein Kreis, in dem sich zwei kleinere Kreise befanden. Zwei Linien verliefen von dem Kreis aus nach unten und trafen auf eine dritte. Vom unteren Teil dieser Figur verliefen zwei Linien in der Waagerechten, ebenso vom ersten Kreis aus, und eine weitere Linie verlief in der Senkrechten.

Jakes Herz raste, als Savassan sich ihm zuwandte, die Gedanken immer noch sorgfältig abgeschirmt. Was hatte das zu bedeuten? Savassan wollte offensichtlich, dass er etwas schlussfolgerte aus dieser seltsamen Ansammlung von in den Boden gekratzten Linien. Aber was?

Panik wollte sich seiner bemächtigen. Dies war eine Prüfung, das wusste er, und wenn er sie nicht bestand, würde Savassan womöglich zu der Meinung gelangen, er sei weiterer Erleuchtung nicht wert. Dabei wollte Jake unbedingt mehr erfahren.

»Sieh mich an«, sagte Savassan in Jakes Geist. Jake hob den Blick von den Zeichen am Boden und sah den älteren Protoss an. Savassan stand kerzengerade. Vor Jakes Augen hob Savassan die Arme und streckte seinen Speer aus. » Und nun schau auf die Symbole. Siehst du es?«

Die Enttäuschung traf Jake wie einer jener sturzbachartigen Regengüsse, die das Land manchmal ertränkten. Was anderes als bisher sollte er denn sehen?

Er riss den Blick los von dem starr dastehenden Älteren und richtete ihn auf die Zeichen, die Savassan in den Boden gekratzt hatte.

Seine Augen weiteten sich.

Savassan, kerzengerade dastehend… sein Kopf ein Kreis mit zwei weiteren Kreisen darin. Seine Beine zwei senkrechte Linien, seine Arme zwei waagrechte Striche, sein Speer ein senkrechter!

Jake zitterte, kniete nieder und streckte behutsam eine knorrige Hand aus, um die Linien im Sand zu berühren, als könnte er sie sich so besser einprägen.

»Das bist du«, dachte er. » Savassan…du hast dich selbst gezeichnet!«

»Ich wusste, dass du es verstehen würdest!« Der Gedanke dröhnte so laut durch Jakes Kopf wie das Brüllen der Omhara bei Nacht. Savassan legte dem jüngeren Protoss eine Hand auf die Schulter und drückte anerkennend zu.

»Man kann ein… ein Bild, eine Darstellung von allem in den Boden zeichnen. Sieh nur.« Ebenso erregt über Jakes Fähigkeit zu sehen, wie es Jake selbst war, malte Savassan weitere Linien ins Erdreich. »Das ist ein Baum«, sagte er.

Nun, da Jake das Konzept begriffen hatte, war es, als hätte ihm bisher eine Hand die Augen zugehalten, die nun nicht mehr da war. Jake erkannte augenblicklich einen Baum in dem, was vor nicht allzu langer Zeit noch sinnlose Striche für ihn gewesen wären. » Und das ist die Sonne… und das ist der Teich.«

»Ja… ja, Savassan, ich sehe es, ich erkenne alles!«

»Weißt du noch, was ich vorhin sagte? Dass ich glaube, die Relikte der Ihan-rii hätten uns eine Geschichte zu erzählen?«

»Ja, und ich erwiderte, die Relikte könnten nicht denken noch hätten sie einen Mund, um zu sprechen. Es… es war dumm von mir, das zu sagen.«

»Ganz und gar nicht. Dies ist etwas, das unser Volk bisher nicht begriff, dass Kommunikation keiner Gedanken bedarf, um verstanden zu werden, noch nicht einmal Laute braucht. Nur Bilder. Etwas, das man an einem Ort hinterlassen kann, wo es dann von jemandem verstanden zu werden vermag, der darüber stolpert – wenn derjenige, der sie hinterlassen hat, vielleicht nicht einmal in der Nähe ist. Eingefangene Gedanken sozusagen. Eingefangene Laute und Bedeutungen. Auf diese Weise, glaube ich, werden die Ihan-rii uns ihre Geschichten erzählen.«

Jake hockte sich hin, regelrecht erschüttert von der Eröffnung. Jetzt erinnerte er sich lebhaft an die Bilder all der Artefakte, die er gesehen hatte. Es waren sonderbare Muster in sie hineingeschnitzt, auf dieselbe Weise, wie Savassan seine Zeichen in den feuchten Erdboden geritzt hatte. Aber die Zeichen auf den Artefakten würden niemals vom Regen fortgewaschen oder von Fußspuren ausgelöscht werden. Eingeritzt würden sie vielleicht ewig bestehen.

Wenn sie auf die Jagd gingen, um andere Stämme anzugreifen, schmückten die Protoss sich oft mit Dingen wie Federn, Knochenketten oder kräftigen Farben aus Beeren oder Blut. Aber solche Symbolik bedeutete nichts. Die anderen Protoss hatten den Sprung nach vorne in ihrer Entwicklung nicht vollzogen.

Irgendwie gelang es Savassan, Jakes Gedanken trotz ihrer Zusammenhangslosigkeit zu lesen, und er nickte.

»Noch nicht. Aber sobald ich beweisen kann, dass meine Theorie zutrifft, werden auch sie verstehen lernen.«

Jake sah abermals hinab auf die eingefangenen Gedanken am Boden. »Es ist aber kompliziert.«

»Das muss nicht sein. Schau. Wenn du weißt, dass ich das bin«, sagte Savassan und zeigte auf das erste Bild, das er gezeichnet hatte, »dann könnte ich auch das sein.« Er malte drei Linien: eine senkrechte, die Jake nun als vereinfachte Darstellung des Torsos verstand, eine horizontale für Savassans Arme und eine weitere senkrechte, die seinen Speer darstellte.

»Und das könnte der Baum sein… und das die Sonne.« Savassan zeichnete eifrig weiter. Alle Symbole war nun viel schlichter und damit viel schneller zu zeichnen. Und Jake verstand jedes Einzelne davon.

Die Sonne zog langsam über den Himmel, während die beiden Shelak ihre Köpfe zusammensteckten und Dinge erschufen, die auf fast magische Weise von bedeutungslosen Strichen auf dem Boden zu machtvollen Gedanken wurden. Schließlich reichte das Licht nicht mehr zum Sehen.

»Es ist Zeit, zurückzukehren«, sagte Savassan. »Wir dürfen nichts von all dem erzählen, bis wir es vervollkommnet haben. Bis es uns gelungen ist, zu bestätigen, dass das Vermächtnis der Ihan-rii tatsächlich in ihre Relikte gemeißelt ist.« Er zögerte. » Temlaa. Du hast dich mehr als nur würdig erwiesen. Ich könnte zwei zusätzliche Augen und Hände bei meiner Arbeit brauchen. Ich möchte dich gerne als meinen Schüler annehmen. Was sagst du dazu?«

Jake schirmte seine Gedanken ab und sah zu Boden. Mit einem Finger zog er Striche ins Erdreich. Er malte sich selbst, wie er hochsprang, die Arme nach oben gereckt, und über ihm stand die Sonne.

Er malte sich – in völliger Begeisterung.

*

Immer noch schlafend, immer noch umhertreibend, stellte Jake fest, dass er sich… gut fühlte. »Diesmal war’s gar nicht so schlimm«, sagte er. Es fiel ihm immer noch schwer, die eleganten, strahlenden Krieger der Gegenwart mit jenen gewalttätigen, fast brutalen Wesen aus der fernen Vergangenheit in Einklang zu bringen. Aber er konnte Temlaa verstehen.

»Du hast mir nie verraten, wie es kommt, dass du Erinnerungen hast, die nicht die seinen sind«, sagte er. »Ist das bei allen Protoss so?«

»Nicht bei allen – im Gegenteil, nur bei ganz, ganz wenigen«, antwortete Zamara. »Aber das ist jetzt nicht wichtig. Kannst du noch mehr vertragen?«

Jake überlegte. Die Angst hatte sich gelegt. Er wollte immer noch sein altes Leben wiederhaben. Er empfand immer noch Verachtung für die Frau, mit der er zu reisen gezwungen war…

»Warum hast du sie überhaupt mitgenommen?«

»Ich habe meine Gründe, aber auch sie sind im Moment unwichtig. Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.«

Jake fand es ziemlich ungerecht, dass sie von ihm erwartete, ihre Fragen zu beantworten, während sie sich in ihrer mysteriösen und rätselhaften Rolle gefiel. Lachen, warm, beruhigend und reiner als er es je zuvor gehört hatte, umhüllte und durchdrang ihn, als sie seine Gedanken las. Er fühlte sich ruhig und getröstet und dem Begreifen dieses scheinbar unfassbaren Wesens einen Schritt – einen winzigen Schritt – näher.

»Ja«, sagte er. »Ich bin… jetzt neugierig.«

»Das ist ein weiterer Zug, der mich zu dir führte.«

»Ein weiterer? Was war denn der andere?«

»Das ist ebenfalls – «

»Unwichtig«, seufzte Jake.

*

Die Ara kamen ohne Vorwarnung.

Und sie kamen in großer Zahl, fielen über die arglosen Shelak her und steckten ihre Unterkünfte aus aufeinandergetürmten Bäumen, Blättern und Häuten in Brand – mit verheerenden Folgen.

Jakes Kopf ruckte in die Höhe, als die geistigen Schreie auf ihn einstürmten.

Telkar sandte seine Befehle in Gedanken, die ursprünglicher waren als Worte, und sein Stamm kam, um ihnen Folge zu leisten. Mit vor Rauch brennenden Augen ergriff Jake sein Shikma und schloss sich den anderen an. Er setzte hinweg über zuckende, blutende Leiber von Männern, Frauen und Kindern, stürzte sich wutentbrannt auf die Ära. Er schnitt, stach, hieb und riss, und das warme Blut zeichnete ihm Spuren auf die Haut.

Überrascht spürte er, wie Savassan rief: »Die Relikte! Sie sind nicht unseretwegen gekommen, sie sind wegen der Relikte hier!«

Jakes Zögern rächte sich. Eine Ära, die mit einem gekrümmten Salbak bewaffnet war, warf sich auf ihn und traf beinahe seinen Bauch. Er sprang rasch zurück, wich zur Seite und drang mit dem Shikma auf sie ein. Er schlitzte sie auf, dann sprang er über ihre immer noch um sich schlagende Gestalt hinweg, um seinen Freunden zu Hilfe zu eilen.

Seinen Augen bot sich ein entsetzlicher Anblick. Die wütenden Ära hatten nicht nur Waffen mitgebracht, um die Shelak zu vernichten, sondern auch Werkzeuge, um die kostbaren Dinge, die sie bewachten, zu zerstören. Eines davon war bereits beschädigt, seine glatte schwarze Oberfläche eingeschlagen von einem Stein, der an einem Stock befestigt war. Ein weiteres war zum Teil aus dem Boden gerissen worden, als mehrere Ära versucht hatten, es umzuwerfen.

Noch während Jake seinen Freunden zu Hilfe eilte, tauchten weitere Ära wie aus dem Nichts auf. Savassan hatte Recht gehabt. Der Angriff auf das Dorf war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Das wahre Ziel waren die Relikte.

Jake stieß einen geistigen Schrei aus und stürzte sich auf seine Feinde. Diese Blasphemie, diese Schändung versetzte ihn dermaßen in Rage, dass er die Verletzungen, die sie ihm beigebracht hatten, kaum spürte. Erst als er seine Waffe fallen ließ und benommen auf seinen blutenden Arm starrte, wurde ihm bewusst, was geschehen war.

Die Ära zogen ihren Kreis enger, um den tödlichen Streich zu führen. Eine huschende Bewegung, und auf einmal war Savassan da und stieß Jake mit sanfter Gewalt zurück, sodass er in Sicherheit war. Dann fiel er so zornig über die Feinde der Relikte her, wie Jake ihn kaum je einmal erlebt hatte.

Davon motiviert, rappelte er sich auf und kämpfte weiter.

Schließlich verstummten die geistigen Schreie. Die Feuer brannten lange Zeit, aber auch sie wurden letztlich gelöscht. Man kümmerte sich um die Verwundeten. Die gefallenen Ära wurden voller Verachtung zu Haufen aufgeschichtet, um sie zur Omhara zu bringen. Die ermordeten Shelak wurden dem Ritual folgend gebadet, für die Beisetzung angekleidet und sorgsam in der Erde beigesetzt.

Am nächsten Tag hinkte Jake zurück zu den Relikten. Er strich mit einer Hand über die glatte Oberfläche und zuckte zusammen, als seine Finger die Wunde berührten, die die Ära in eine der großen schwarzen Säulen geschlagen hatten. Er neigte den Kopf und trauerte, am ganzen Körper zitternd, und seine Haut wurde fleckig ob seines Schmerzes.

Savassan und Telkar hatten ihre Gedanken abgeschirmt, so wurde er erst auf sie aufmerksam, als er sie auf die Relikte zukommen sah. Telkar wirkte nicht glücklich, aber Savassan machte einen absolut friedlichen Eindruck. Jake beruhigte sich und ging ihnen zögernd entgegen.

Die beiden Shelak hoben den Kopf und blickten Jake aufmerksam an. Er sah von einem zum anderen, und seine Gedanken waren zweifelsohne nicht zu überhören.

»Temlaa«, sandte Savassan, »wir müssen die Relikte fortschaffen. Die Ära wissen jetzt, wo sie sind. Und… ich verlasse den Stamm der Shelak.«

Jake starrte Savassan entsetzt an. »Nein! Wir brauchen dich!«

»Genau das habe ich ihm auch zu erklären versucht«, teilte Telkar mit. »Vielleicht hört er ja auf dich, Temlaa. Auf mich jedenfalls nicht.«

Kopfschüttelnd stakste Telkar davon. Jake wandte sich Fragen in Gedanken fassend an Savassan.

» Temlaa…du weißt um den Wert der Arbeit, die wir geleistet haben«, sagte Savassan. »Du verstehst das mehr als jeder andere Angehörige des Stammes.«

»Ja, natürlich«, dachte Jake zurück. »Es ist klug, die Relikte woanders hinzubringen, auch wenn es schwierig sein wird. Aber warum verlässt du uns?«

»Die Gedanken… ich muss meine Gedanken klären. Ich kann nicht bei den Artefakten sitzen und versuchen, offen zu sein für alles, was sie anregen mögen, wenn ich Dutzende von Gedanken im Kopf habe, die sich um Blutvergießen und Gewalt drehen.«

»Aber… wir müssen uns verteidigen! Wir müssen die Artefakte vor jenen schützen, die sie zerstören wollen! Das war seit jeher die Aufgabe der Shelak!«

Savassan schloss die Augen; er wirkte, als litte er Schmerzen. »Ja, so war es. Und ich pflichte dem bei. Die Shelak müssen kämpfen, sie müssen verteidigen, was die Ihan-rii hinterlassen haben. Aber… das ist nicht länger meine Aufgabe. Nicht mehr. Denn ich habe herausgefunden, dass eine andere vor mir liegt. Ich sage nicht, dass sie größer ist, denn erst das, was der Stamm tut, macht das, was ich zu bewältigen habe, möglich. Meine Aufgabe ist es nicht, die Artefakte zu verteidigen, sondern sie zu verstehen.«

Jake sah ihn weiter starr an. » Wo immer wir die Relikte auch hinbringen… dort wird deine neue Heimat sein. Aber was ist mit mir?«

Savassan sah ihn mit freundlichen Augen an. Er streckte eine Hand aus und legte sie dem Jüngeren auf die Schulter. »Du, lieber Temlaa, hast eine sehr schwere Entscheidung zu treffen. Du musst dich entscheiden, ob du mit mir kommen oder hierbleiben willst. Du musst dich entscheiden, welchen Weg du gehen willst – den eines Erforschers der Ihan-rii-Artefakte oder den eines Kämpfers, der sie beschützt.«

Jake blickte erst seinen Mentor hilflos an und dann zum Lager zurück. Er sah seine Stammes geführten zielstrebig umhergehen, ihre purpurnen, glatthäutigen Leiber waren lang, schlank und stark. Sie reparierten Waffen, kümmerten sich um die Toten, besprachen Kriegstaktiken, und sie alle wirkten bestens gerüstet für das Leben, das sie führten.

Er richtete seinen Blick wieder auf Savassan und dann auf die Relikte. Acht hatten sie gefunden und hierher, an diesen Ort gebracht. Einige waren schwarz, mit glatten Oberflächen, andere von der Farbe der Dämmerung; sie schienen zu bestimmten Zeiten des Tages zu leuchten, wenn das Licht sie entsprechend traf. Wieder andere kräuselten und wanden sich in sich selbst, manche waren kräftig und scharfkantig, manche klein, Fragmente nur, andere flache Platten, und wieder andere Kugeln.

Er dachte an das herrliche Spiralgebilde, das die wütenden Ära so schwer beschädigt hatten, an die seltsamen Inschriften, die es aufwies, an die Erleuchtung, die ihn dröhnend durchströmt hatte, als Savassan seine Zeichnungen ins weiche, feuchte Erdreich malte.

Und er erkannte, dass seine Entscheidung bereits gefallen war.

» Ich werde mit dir kommen«, sagte er. » Die Relikte rufen mich. Das Geheimnis, die Fragen, die sie darstellen – sie brennen mir im Herzen. Ich muss die Antworten darauf erfahren.«

Savassan senkte die Lider halb über seine großen, funkelnden Augen und neigte lächelnd den Kopf. » Dann pack deine Sachen, mein junger Schüler. Komm mit, und wir werden die Rätsel der Ihan-rii gemeinsam ergründen. Ich bin sicher, dass nicht einmal die Geheimnisse der Relikte sich lange verbergen können, wenn ihnen eine solche Leidenschaft für Wissen gegenübertritt.«

Ein Schauder durchlief Jake, als Savassan diese Worte dachte. Und irgendwie wusste er, dass sein Leben im Begriff war, sich auf eine Weise zu verändern, die er sich noch nicht einmal ansatzweise vorstellen konnte.

*

Jake öffnete die Augen.

Zamara hatte sich tief in sein Gehirn zurückgezogen… wohin auch immer sie sich zurückzog, wenn sie nicht aktiv präsent war. Temlaa und Savassan. Wer waren diese Leute? Er fühlte eine Verwandtschaft zu ihnen, die in ihm auch dann schwang, wenn er wach war, auch dann, wenn er nicht durch Temlaa sah und fühlte.

Diese beiden waren so etwas wie urzeitliche Archäologen. Verteidiger und Beschützer von Relikten. Savassan begriff, dass leblose Objekte sehr wohl eine Geschichte zu erzählen hatten, und er, und in geringerem Maße auch Temlaa, hatte erstaunliche Fortschritte gemacht. Sein eigenes Herz hatte höher geschlagen, als er zuschaute, wie die beiden Protoss sich solch komplexe Ideen wie Symbolismus und, verdammt, sogar Schriften erarbeiteten. War das der Grund, weshalb Zamara das Gefühl hatte, er müsse in Temlaas Körper »sein«?

Er bedauerte, dass er nicht mehr schlafen konnte. Er wollte sehen, was sie als Nächstes entdeckten. Sie waren zwei Stimmen der Vernunft und der Hoffnung, in einer Welt, die von Tod und Gewalt angetrieben wurde.

»Wie geht’s Ihnen, Jake?«

Rosemarys Stimme ließ ihn zusammenzucken. Sie hatte sich umgedreht und grinste ihn an. Jake wurde bewusst, dass es ihm und Rosemary ebenso erging, wie es Temlaa und Savassan ergangen war – sie waren gezwungen gewesen, alles, was sie kannten, zurückzulassen. Sie hatten nun nur noch einander. Wobei ihm Savassan als Reisegefährte lieber gewesen wäre.

Trotz Zamaras Versicherung, dass Rosemary ein notwendiges Übel war, gefiel es ihm nicht, dass die Protoss sie beide zusammengespannt hatte. Nichtsdestotrotz weckten die Freude und das kribbelnde Gefühl von Erregung und Entdeckung, alles, was er so lebhaft empfunden hatte, sowie die Tatsache, dass er sich gut ausgeruht fühlte, den Schalk in Jake.

Rosemary hatte gefragt, wie es ihm ging.

Dann pack deine Sachen, mein junger Schüler.

Jake sah auf das Tablett mit halb aufgegessener Fertignahrang, auf den Haufen erstarrten Schleims, der zweifelsohne Kartoffelpüree darstellen sollte. Jake bohrte zwei Löcher in die weiße Substanz und malte einen Halbkreis darunter.

Rosemarys Blick fiel auf das Gemälde, und sie rang sich ein Grinsen ab ob dieses Symbol, das nicht ganz so alt war wie jene, die die Protoss entwickelt hatten, aber dennoch fast antik und leicht zu identifizieren – ein Smiley.

KAPITEL 15

Er saß neben Rosemary und blickte, während sie sprach, hinaus zu den Sternen. »Das Weltall ist groß, Jake. Selbst für den Sohn eines Kaisers. Am größten war die Gefahr für uns gleich am Anfang.« Sie beugte sich vor und berührte die Konsole, und er schaute abwesend zu, wie eine weitere Sternenkarte aufgerufen wurde. Für ihn sah sie genauso aus wie die letzten, die sie studiert hatte.

»Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass wir sie abgehängt haben, aber so ganz wohl ist mir noch nicht. Ein paar Tage noch, dann sind wir bei Eman. Und dann…« Ein Lächeln kräuselte ihre Lippen, die geschwungen waren wie Amors Bogen, »dann werde ich mich… entspannen.«

»Erzählen Sie mir ein wenig mehr über unser Reiseziel.«

»Dead Man’s Rock? Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ein guter Ort, um sich zu verstecken, wenn man muss. Ein großartiger Ort, um zwielichtige Geschäfte zu machen, wenn man das will. Im Dominion weiß man darüber Bescheid, aber es hält sich fern.«

»Jetzt vielleicht nicht mehr«, meinte er. »Ich bin schließlich nicht nur ein kleiner Ganove.«

»Ethans Leute werden vor uns dort sein«, sagte sie. »Sie werden Kontakt mit uns aufnehmen, sollte diese Gefahr bestehen.«

»Sie sind sich sehr sicher, was diesen Ethan angeht«, sagte er. Es war eine Feststellung, keine Frage. Er hatte ihre Gedanken bezüglich dieses Mannes gelesen. Sie waren überwiegend recht unkeusch und körperbezogen, aber durch all das schimmerte ein vollkommenes, fast reines Vertrauen hindurch, dessen er Rosemary Dahl nicht für fähig gehalten hätte.

»Das bin ich auch. Er ist gut in dem, was er tut, und er wird uns nicht hängen lassen.«

»Ich hoffe, Sie haben Recht.«

Sie lächelte ihm zu. »Kommen Sie schon, Jake. Auf Nemaka habe ich Sie Ihren Job tun lassen, oder etwa nicht? Jetzt lassen Sie mich meinen tun.«

Plötzlich war er wieder nur wütend auf sie. Sie hatte ihren Job auf Nemaka ebenfalls getan. Ihr Lächeln verging ein wenig, als sie sah, wie sich seine Augenbrauen in einem Stirnrunzeln zusammenzogen.

»Warum zum Teufel sollte ich Ihnen vertrauen? Was sollte Sie davon abhalten, mich an Ethan auszuhändigen, wenn wir dieses… dieses ,Paradies’ erreichen? Sie haben mich schließlich schon einmal hereingelegt.«

»Da konnten Sie aber noch keine Gedanken lesen. Wir stehen jetzt auf derselben Seite, Jake. Im Moment würde ich Sie nicht einmal für eine Milliarde Credits verraten.«

Er durchkämmte rasch ihre Gedanken und erkannte, dass sie die Wahrheit sagte. Rosemary hielt die Dinge gerne unpersönlich und geschäftsmäßig, aber wenn ihr jemand in den Rücken fiel, dann wurde es schnell sehr persönlich. Sie hatte Valerian vertraut, und er hatte sich gegen sie gewandt – oder zumindest seine Leute hatten das getan, was auf dasselbe hinauslief.

Nein, er konnte ihr seine Sicherheit anvertrauen, und sei es nur des Hasses wegen, den sie nun gegen den Thronerben – und was er repräsentierte – hegte.

»Ich mag Sie nicht«, sagte er freiheraus.

Sie zuckte mit den Schultern. »Das hat auch niemand von ihnen verlangt.«

Das stimmte. Nicht einmal Zamara hatte behauptet, dass er Rosemary zu mögen habe. Er musste lediglich mit ihr zusammenarbeiten.

*

Auf Savassans Vorschlag hin beschlossen die Shelak, die Relikte nicht länger im Freien stehen zu lassen. Es war zu gefährlich. So waren sie zu leicht angreifbar und zu beschädigen.

»Auf diese Art und Weise wurde es schon immer gemacht, seit dem Tag der Finsternis, als die Wanderer von Afar gingen und uns hier ließen, auf dass wir bewachten, was zurückblieb«, hatte Telkar protestiert.

Savassans Blick war fest. »Die Art und Weise, wie es schon immer gemacht wurde, nützt den Relikten nicht mehr. Du bist ein guter Anführer, Telkar. Du wirst den Schutz dieser heiligen Dinge über die Tradition stellen. Die Höhle ist im Falle eines Angriffs leichter zu verteidigen.«

Dieser Logik konnte er sich nicht verschließen, und so stimmte Telkar zu. Es würde lange dauern, derart große und schwere Objekte zu transportieren. Aber niemand glaubte, dass das Unterfangen fehlschlagen würde.

Während der Transport im Gange war, entschied Savassan, dass er und Jake sich auf die Suche nach weiteren Relikten machen würden.

»Es scheint mir nicht richtig, diese kostbaren Dinge zurückzulassen«, sagte Jake.

»Manchmal muss man etwas für einige Zeit zurücklassen, um es nach der Rückkehr um so mehr zu schätzen zu wissen, Temlaa«, sagte Savassan.

Sie entfernten sich viele Wegstunden von ihrer Heimat und marschierten in drei Tagen weiter, als Jake in seinem ganzen Leben gegangen war. Savassan hatte das Konzept des Einfangens von Informationen, wie die beiden es inzwischen nannten, noch weiter entwickelt. Sie reisten mit leichtem Gepäck und hatten jeder nur eine gegerbte Omharahaut dabei, auf der sie schliefen, sowie Waffen, um sich zu verteidigen, sollte ein anderer Stamm sie angreifen.

Savassan trug außerdem noch eine dritte Haut bei sich. Jake hatte gefragt, warum, aber Savassan hatte nur gesagt: »Das wirst du schon sehen.«

An jenem ersten Abend hatte Savassan ein Feuer entfacht. Jake war verdutzt gewesen – es war selten, dass man der Kälte wegen eines Feuers bedurfte.

»Warum machst du Feuer?«, hatte er gefragt. »Es ist doch nicht kalt.«

Savassan hatte sich ihm zugewandt, die Augen halb geschlossen und den Kopf geneigt, eine Geste, die Belustigung ausdrückte. »Das wirst du schon sehen«, hatte er gesagt und damit seine rätselhafte Bemerkung von vorher wiederholt, und er hatte seine Gedanken so vollkommen abgeschirmt, dass Jake nicht einmal einen Anflug davon erhaschen konnte.

Savassan hatte nach einem der Stöcke gegriffen, die im Feuer gelegen hatten; das Ende war schwarz verbrannt. Er begutachtete das verkohlte Holz und nickte.

»Hol mir eine der Schlafhäute«, wies er Jake an, und der jüngere Protoss leistete seiner Bitte eilig Folge, auch wenn er nun vollends verwirrt war. Er kehrte zurück und begann, die Haut im Gras auszubreiten, doch Savassan unterbrach ihn.

»Nein, nein, Temlaa, mit der Pelzseite nach unten«, verlangte er. Jake sah ihn irritiert an, tat aber, wie ihm geheißen worden war, und setzte sich dann etwas zur Seite und beobachtete, was weiter geschah.

Der Mond war voll, und dank seines Lichtes und dem orangefarbenen Schein des Feuers konnte man gut sehen. Savassan stand auf und trat vor die helle, steife Oberfläche der gegerbten Haut. Er warf Jake einen Blick zu.

» Du hast mich bislang mehr als nur einmal beeindruckt, Temlaa. Vermagst du das noch einmal?«

Jake betrachtete den Stock, dann sah er auf die Haut. Ihn schwindelte, als ihm die Erkenntnis dämmerte.

Savassan hatte mit einer Speerspitze Linien in den Boden gekratzt, aber diese Linien waren verletzlich. Eine Handbewegung, ein Fußtritt oder ein Regenguss, und die Symbole wären verloren.

Der geschwärzte Stock würde eine Markierung auf der helleren Farbe der Schlafhaut hinterlassen. Die Haut ließ sich zusammenrollen, vor den Elementen schützen und von Ort zu Ort tragen.

Er sah, wie Savassan in erregter Zustimmung nickte, während er dies dachte.

»Ich wusste es. Du bist ein Geschenk der Ihan-rii. Ich frage mich, ob du nicht einer von ihnen bist und dich nur getarnt hast.«

Jake fühlte sich peinlich berührt und zugleich geschmeichelt. Er wusste nicht, was er erwidern sollte.

»Aber ich verlange noch einen weiteren Sprung nach vorne von dir. Ich werde nicht die Symbole aufzeichnen, die wir schon kennen. Ich werde niederlegen, was wir gesehen haben, wo wir waren. Ich werde unsere Reise dokumentieren.«

»Wie denn?«

»Wir haben uns schon früher hoch über das Blätterdach des Dschungels gewagt.« Savassan begann mit dem Stock auf die Haut zu malen. » Wenn wir über dem Erdboden sind, können wir weit sehen. Stell dir nur vor, wie es wäre, ein Vogel zu sein und über allem fliegen zu können. Wie sähe der Boden von dort oben aus?«

Jakes Blick war auf den Stockfixiert. Savassan zeichnete zwei sich kreuzende Linien.

»Das könnte unser Lager sein. Und das«, fuhr Savassan fort, »wäre unsere Höhle, in der wir die Relikte verstecken. Und dies hier wäre die Stelle, wo wir heute Nacht schlafen.« Er blickte zu Jake auf, der sprachlos auf die Zeichnung starrte. » Siehst du?«

Jake nickte. Anhand der Zeichnung ließ sich nun der Weg verfolgen, den sie genommen hatten. Wenn sie etwas Bedeutendes entdeckten, konnten sie es auf dieser Haut festhalten. Und wenn sie dann Unterstützung brauchten, konnten sie zum Lager der Shelak zurückkehren, wo sie Hilfe finden würden, um wichtige Dinge zur Höhle zu schaffen. Mehr noch, sollte einem von ihnen etwas zustoßen, wären diese Informationen dennoch dauerhaft aufgezeichnet, und andere könnten ihrer Spur folgen.

Am Ende eines jeden Tages ihrer Reise zeichnete zunächst Savassan und später Jake sorgfältig ihrer Lagerstätte ein, wobei sie versuchten, die Entfernungen angemessen zu schätzen. Sie brachten bestimmte Markierungen ein, anhand derer sich jeder Ort eindeutig identifizieren ließ. Einmal war es eine Höhle, die eine Gegend von anderen unterschied, ein andermal ein Wasserfall oder zwei Bäume, deren Stämme ineinander verschlungen waren.

Nur einmal stießen sie auf eine kleine Gruppe von Ära. Ihre Witterung stieg Jake in die Nase, und er spannte sich an. Blutdurst durchströmte ihn, urtümlich und unmöglich zu leugnen.

Er machte sich auf einen Angriff gefasst, hielt den Speer einsatzbereit, aber Savassans starke Hand schloss sich um seinen Arm und riss ihn zurück.

Jake fuhr zu seinem Mentor herum. » Das sind Ära! Sie hassen die Artefakte! Sie waren es, die – «

»Das weiß ich!«, sandte Savassan zurück. »Aber sie sind in der Überzahl, und wir tragen die Häute mit uns herum. Diese Information festzuhalten ist wichtiger, als ein paar bei einem Angriff zu töten, bevor wir selbst erschlagen werden. Außerdem sind sie Protoss. Genau wie wir.«

Jake starrte ihn an. Wollte Savassan etwa sagen, dass die Shelak… die Ära, die Akilae, die Furinax und die Sargas als Brüder willkommen heißen sollten? Das Wissen mit ihnen teilen, für das die Shelak so viel von ihrem Blut vergossen hatten beim Versuch, es zu schützen?

Seine Gedanken waren nicht klar ausformuliert, aber Savassan verstand ihn dennoch.

»Letzten Endes müssen wir alles, was wir herausfinden, mit allen Protoss teilen. Es war nie nur für die Shelak bestimmt. Die Ihan-rii wählten uns als Rasse, sie trafen keine Unterscheidung zwischen den Stämmen. Eines Tages müssen wir es ihnen gleichtun.«

Der Blutdurst hatte sich unter dem Schrecken über Savassans Worte gelegt. Die Gruppe mit Blut bemalter und geschmückter Ara-Krieger war weitergezogen, ohne zu wissen, dass zwei der verhassten Shelak unweit von ihnen entfernt waren. Der Wind hatte Savassan und Jake heute in die Hände gespielt. Jake sah ihnen nach, dann schaute er Savassan an.

»Wann wolltest du mir das eröffnen?«

»Wann immer du mir reif dafür schienst, Temlaa.«

Jake drehte sich um und sah den in der Ferne verschwindenden Kriegern hinterher. »Ich glaubte schon, die Ära führten deine Zunge.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das wird von deiner Reaktion, auf das, was ich gesagt habe, abhängen.«

Jake drehte sich abermals um und sah Savassan an. Sein Bild des Älteren war nun ein anderes. Es wurde nicht mehr durch den verehrenden, unkundigen Blick des Jünglings gefiltert. Er war nun schon seit vielen Wochen mit Savassan unterwegs und hatte ihn kennen und verstehen gelernt. Er hatte vieles angenommen von dem älteren Protoss, und obschon er wusste, dass er noch vielmehr anzunehmen hatte, kam er sich doch eher vor wie ein Gleichberechtigter, ein Gefährte, nicht mehr nur wie der Schüler eines Lehrers.

Er wusste, dass der Rest des Stammes, hätte Savassan so etwas vor ihnen zum Ausdruck gebracht, ihn des Verrats bezichtigt hätten. Sie hätten sich womöglich auf ihn gestürzt und ihn mit bloßen Händen zerrissen – oder sie hätten ihm die Kniesehnen zerschnitten und liegen gelassen, blutend und unfähig zu gehen, auf dass die Omhara ihm den Rest gaben.

Oder auch die Ära.

Aber nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, stellte Jake fest, dass er verstand, was Savassan zu sagen versuchte. Gewiss, er konnte sich nichts vorstellen, das er mehr hasste als die anderen Protoss-Stämme. Die Shelak waren die Beschützer der Artefakte der Ihan-rii.

Aber was war, wenn die Steine und Werkzeuge und all die anderen seltsamen Gegenstände, deren Zweck sie sich nicht einmal annähernd vorstellen konnten, nicht das einzige Vermächtnis waren, das die Ihan-rii den Protoss an jenem düsteren Tag hinterlassen hatten, als sie in ihre Schiffe gestiegen waren und Aiur für immer verließen?

Was war, wenn die Protoss selbst das Vermächtnis waren? Und wie konnte das gegenseitige Bekriegen dann die Lösung sein?

»Ich wusste, dass ich eine weise Entscheidung getroffen hatte«, erklang Savassans Gedanke in Jakes Geist. »Aber nicht einmal ich, der ich dein Potenzial erkannte, Temlaa – nicht einmal ich konnte ahnen, wie klar du all dies begreifen würdest. Das Einfangen von Ideen, das wir entwickelt haben… wenn dieses Wissen erst einmal mit anderen geteilt ist, werden wir in der Lage sein, mit unserem eigenen Stamm und auch mit weit entfernten anderen Protoss zu kommunizieren. Und wenn es uns erst einmal gelungen ist, zu entziffern, was die Ihan-rii auf ihren Artefakten vermitteln wollten, müssen wir auch dieses Wissen mit anderen Stämmen teilen. So stolz ich auch sein mag, in den Stamm der Shelak hineingeboren worden zu sein, bin ich doch nicht hochmütig genug, um anzunehmen, dass wir die Einzigen sind, die so denken. Wir hatten das Glück, in einem Stamm zur Welt zu kommen, der solche Dinge unterstützt. Kannst du dir vorstellen, wie es wäre, wenn du als Akilae oder Ära geboren worden wärst? Wo man dich umbringen würde, wenn du dich auch nur fragtest, ob wir den Ihan-rii vielleicht doch nicht einerlei sind, wo sie uns doch verlassen haben? Oder wo die Älteren dir vielleicht sagen würden, dass die Großen Lehrer böse waren?«

Das alles war beinahe zu viel für Jake. Savassan saß neben ihm, und sie blickten gemeinsam ins Dämmerlicht. Er fragte sich, ob Savassan Recht hatte, ob es irgendwo dort draußen einen Protoss aus dem Stamm der Akilae gab, der in die purpurne Dämmerung aufsah und über die Wanderer von Afar nachsann.

»Wie?«, war alles, was er fragte.

Savassan verstand. »Wir vertrauen darauf, dass wir auf dem richtigen Weg sind«, antwortete er. »Wir vertrauen darauf, dass wir Stück für Stück, Schritt für Schritt dabei sind, herauszufinden, was die Ihan-rii für uns im Sinn hatten. Sie haben uns verlassen, Temlaa. Weil wir irgendeinen Mangel hatten. Sie ließen uns zurück. Aber sie hinterließen auch andere Dinge, die Artefakte, die wir so hoch in Ehren halten. Vielleicht können wir, wenn wir das nutzen, was sie zurückließen, auf dem Weg, den sie ursprünglich für uns vorgesehen hatten, weitergehen. Wenn wir erst einmal begriffen haben, was sie wollten, werden die anderen Protoss auf uns hören, das glaube ich aus tiefstem Herzen. Andere dürsten nach dem, was wir entdecken werden, Temlaa. Sie begreifen nur nicht, was es ist, wonach es sie verlangt. Aber wenn wir es gefunden haben – dann werden wir nicht länger allein sein, das weiß ich.«

Das war ein ebenso beängstigender wie beruhigender Gedanke. Es mochte zwar verlockend sein, zu glauben, dass allein die Shelak die alten vergessenen Geheimnisse lüften und sie dann für sich behalten würden. Doch nach Savassans Worten stellte Jake fest, dass er dieses Wissen teilen wollte. Er versuchte sich, ein Dutzend… nein, hundert Protoss vorzustellen, von jeder Farbe und jedem Stamm, die harmonisch und vereint zusammensaßen.

Er musste einsehen, dass ihm das nicht gelang.

»Savassan…«

»Es braucht Zeit!, Temlaa«, sagte Savassan sanft in Jakes Geist. »Der Heilungsprozess wird sich nicht binnen eines Tages vollziehen. Vielleicht werden wir es nicht einmal mehr miterleben.«

»Aber… du glaubst, dass es geschehen wird?«

»Ja«, sandte Savassan voller Überzeugung. »Das glaube ich mit jeder Faser meines Seins.«

Jacob Jefferson Ramsey erwachte mit Tränen in den Augen und wünschte, er könnte in der Zeit zurückgehen zu Temlaa und Savassan, wo sie auch sein mochten, um ihnen zu erzählen, was er wusste. Um ihnen zu sagen, dass Savassan Recht hatte.

KAPITEL 16

Donner krachte. Wind brachte das Geäst zum Rauschen, und flüsternde, knarrende, ächzende Laute klangen auf. Ein Blitz erhellte die Dunkelheit der Welt unter dem Blätterdach der dicht verschlungenen Bäume und ließ sie scharf hervortreten. Jake kniff die Augen geblendet von der Lichtfülle zusammen, dann wartete er, bis sich sein Sehvermögen wieder eingestellt hatte. Sein Geist war für die Gedanken der Geschöpfe ringsum weit geöffnet. Dennoch wusste er, dass er etwaige feindliche Protoss, die hier ebenfalls Zuflucht suchen mochten, wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen würde. Er umklammerte die kostbare Haut fester, presste sie eng an seinen purpurnen Leib, der zitterte, weil er selbst hier unter dem Blätterdach klatschnass geworden war. Jake und Savassan waren dankbarer denn je für ihre Karte -.

*

Jake blinzelte, eine lebhafte Sekunde lang noch im Traum gefangen, in den Erinnerungen, und sich zugleich doch seiner Identität jenseits des Shelak-Protoss namens Temlaa voll bewusst. Temlaa kannte dieses Wort nicht, Jake indes schon.

»Ja«, sagte Zamara. Er konnte sich nun fast vorstellen, wie sie neben ihm saß. »Du fängst an, die Erinnerungen zu integrieren. Du bringst Jake zu Temlaa, bringst deine eigenen Theorien, Konzepte und Erkenntnisse mit.«

»Kann ich… kann ich ihnen helfen?«

»Nein. Dies sind Dinge, die bereits geschehen sind, vor langer, langer Zeit, als wir noch ein junges Volk waren. Du kannst nichts von dem, was du hier siehst, ändern. Bring dich ganz in diese Erfahrung ein, Jacob, aber versuche auch nicht, Temlaa auszuschließen. Nur wenn du empfindest, wie er empfindet, und dabei doch weißt, was Jacob Jefferson Ramsey weiß, wirst du die Feinheiten dessen begreifen, was es heißt, ein Bewahrer zu werden.«

»Ein Bewahrer?«

Aber sie schwieg nun, und er widmete sich wieder dem Lauf der Dinge. Die beiden Protoss hatten das Konzept der Schrift verstanden, des Kartenzeichnens und…

*

des Dokumentierens ihrer Reise, denn sie hatten die Lage von Höhlen und anderen Orten markiert, wo sie die Häute zurücklassen konnten, während sie auf Erkundung gingen. Sie waren aufgebrochen, um einen weiteren solchen Ort in Augenschein zu nehmen, als der Regen sie überrascht hatte, woraufhin sie den nächstbesten Unterschlupf aufsuchten.

Nun aber las Savassan Jakes Gedanken und übermittelte ihm: »Wir sollten uns auf den Weg zu dieser Höhle machen.« Er zeigte in Richtung eines dunklen Flecks, der sich in den Ausläufern der Hügel abzeichnete. Jake nickte, drückte die zusammengefaltete Haut so fest an sich, wie er nur konnte, und gemeinsam eilten sie auf den Eingang zu.

Der Begriff »Höhle« war kaum das passende Wort. Tatsächlich war es nur eine schmale Öffnung in einem Erdwall, und während sie darauf zuliefen, bezweifelte Jake, dass dieser Ort ihnen mehr Schutz bieten würde als das Blätterdach. Sie erreichten ihn und schlüpften fröstelnd hinein. Jake riskierte einen Blick auf die Haut.

»Scheint alles in Ordnung zu sein«, sandte er, aber Savassans Gedanken trafen ihn wie ein Shikma, und er wirbelte herum.

Es gab kaum Licht, aber vom Eingang her schnitt ein einzelner Strahl regengedämpften Sonnenlichts durch die Dunkelheit und traf auf etwas, das glitzerte.

Langsam bewegten sie sich vorwärts, zwängten sich durch den schmalen Spalt zwischen den Wänden aus Fels und Erdreich, Jake immer noch sorgsam darauf bedacht, die Haut und das darauf Geschriebene zu schützen. Dann öffnete sich der Durchgang ganz unerwartet zu einer Höhle, in die die beiden Protoss verblüfft blickten.

Dutzende von Steinen, durchscheinend wie Wasser, aber leuchtend wie gedämpftes Licht in grünen, purpurnen und blauen Schattierungen, erhellten die Höhle. Sie waren riesig, so groß wie jedes einzelne der von den Ihan-rii hinterlassenen Relikte, die Jake je gesehen hatte. Am Fuße eines jeden dieser Pfeiler aus stofflich gewordenem Licht gruppierten sich, wie Junge, die zu Füßen ihrer Eltern saßen, Dutzende, vielleicht sogar Hunderte von kleineren Steinen. Und jeder einzelne war wunderschön, vollkommen. Einige waren winzig, kaum so groß wie Jakes Hand, andere hatten die Größe von Speeren.

Der Erdboden unter seinen Füßen fühlte sich leicht erwärmt an.

*

»Diese Höhle… sie sieht aus wie das Innere des Tempels!«

»So ist es«, sagte Zamara in Jakes Geist. »So ist es… ganz ähnlich.«

»Ist das der Grund, warum du wolltest, dass ich Temlaas Erinnerungen schaue?«

»Das ist ein Grund von vielen.«

»Aber hier summt nichts.«

»Kein Summen. Noch nicht jedenfalls.«

Jake entsann sich Rosemarys abschätziger Bemerkung: »Ein Haufen hübscher Hinkelsteine…er erwartete aufregendere Resultate von einem Raum, den zu betreten so schwierig gewesen war.«

Wenn Valerian nur geahnt hätte, wie aufregend die Resultate in der Kammer tatsächlich waren.

*

»So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen. Sie sehen aus wie… wie Säulen aus Licht – oder wie Lanzen.«

Savassan nickte. »Ich lebe schon lange, aber selbst ich habe so etwas noch nicht geschaut.« Er betrachtete die Kristalle, dann trat er langsam, wie magisch angezogen, vor und legte die Hand auf die Oberfläche eines der größten Kristalle, so wie er es schon so oft bei den Relikten der Ihan-rii getan hatte.

Plötzlich bog sich sein Rücken durch. Jeder Muskel seines Körpers erstarrte. Jake stieß einen geistigen Schreckenslaut aus und warf sich auf seinen Mentor, umklammerte ihn in Hüfthöhe und zog ihn fort von den schönen, aber offenbar auch hoch gefährlichen Objekten. Er stolperte auf dem unebenen Höhlengrund, und sie stürzten beide schwer zu Boden.

»Savassan! Savassan, ist alles in Ordnung?«

Savassan antwortete nicht sofort. Jake tastete nach seinem Geist, und eine Sekunde lang fand er nichts. Panik wallte in ihm auf. »Savassan!«

Savassan blinzelte und berührte augenblicklich Jakes Geist, um den verängstigten Jungen zu beruhigen.

»Mir fehlt nichts. Ganz im Gegenteil. Ich… Temlaa, die Kristalle… ich habe sie berührt und… es war, als würden plötzlich alle möglichen Gedanken… nein, keine Gedanken… Gefühle… mich durchströmen. Und da war… etwas…«

Er schüttelte den Kopf, außerstande, die Worte auch nur zu denken. »Dies wird alles ändern, Temlaa. Alles. Das ist es, was wir zu finden hofften.« Savassan erhob sich, scheinbar unverletzt.

»Nur zu, Temlaa. Berühre den Kristall. Erst wirst du ein überwältigendes Gefühl verspüren, aber es wird dich nicht verletzen. Fühle, was ich fühlte… erfahre, was ich jetzt weiß. Du hast dir diesen Augenblick verdient. Nimm ihn dir!«

Auf nur leicht zitternden Beinen überwand Jake die kurze Distanz zwischen sich und dem Durcheinander aus leuchtenden Steinen am Fuße der monolithischen Kristalle, die die Höhle füllten, diese Höhle, die sie beinahe übersehen hatten, diesen schlichten Spalt in der Flanke eines Hügels, der zu unscheinbar wirkte, als dass jemand einen solchen Schatz darin verstecken würde.

Er streckte eine zittrige Hand aus und legte sie sanft auf die kühle, glatte Oberfläche.

Etwas schlängelte sich in seinen Geist, wand sich – erst kühl und kaum merklich – in und um seine Gedanken. Die Intensität nahm zu, und Jake spürte, wie sich sein Körper anspannte…

*

Schlafend auf dem Boden und in Decken gehüllt, spannte Jake sich an.

»Bleib locker«, redete Zamara beruhigend auf ihn ein, wie sie es zuvor schon getan hatte. »Öffne deine Gedanken. Vertrau mir. Du tust einfach nur einen weiteren Schritt in diese Welt.«

Er lernte, ihr zu vertrauen. Aber andererseits… hatte er auch gar keine andere Wahl.

*

als Gedanken, die so unfassbar weit jenseits von Gedanken waren, sich in seinen Knochen festsetzten. Es war mehr als nur Denken, es war Gefühl, es war Empfindung, Emotion. Und ohne recht zu wissen, was er tat, hatte Jake sich nach Savassan umgedreht und seinen Geist berührt, derweil er mit einer Hand noch immer den Kristall berührte.

»Ich… ich kann deine Gedanken spüren, Meister«, sandte er. Freude und Staunen erfüllten ihn, und er spürte, wie beides auch in Savassans Bewusstsein hinüberspülte, einer Welle gleich, die über das Ufer leckt. Und als verebbe die Flut, genauso fühlte er die Gedanken und Empfindungen zu sich zurückkehren, diesmal gefolgt von Savassans Gefühlen des Schreckens und Entzückens und eine tiefe, tiefe Dankbarkeit für die Chance, sich dieses Geschenk nutzbar machen zu dürfen.

Dann wurde es mit einem Mal zu viel für ihn, und Jake ließ den Kristall los. Augenblicklich schwanden all die Gefühle, die nicht die seinen waren, und das Einzige, das seinen Geist streifte, waren Gedanken.

Er wankte, ihm war schwindlig, und Savassan fing ihn auf stützte ihn.

»Ich habe deine Emotionen gespürt«, sagte Savassan. Jake atmete schnell durch die Nase. Er versuchte, sich zu beruhigen. »Nicht nur deine Gedanken, Temlaa. Deine Gefühle. Und du spürtest meine, das weiß ich.«

»Ja«, brachte Jake hervor. Es fühlte sich so… so distanziert an, nur Worte in Savassans Geist sprechen zu lassen. Er hatte geglaubt, sie verstünden einander, dass sie ebenso Freunde wie Kollegen waren. Aber nun, da es ihnen nicht nur möglich gewesen war, geistig Informationen auszutauschen, sondern auch Gefühle, erkannte Jake, wie weit die Protoss voneinander entfernt waren. Ungeschickt formulierte er diesen Gedanken. Savassan nickte.

»Wie furchtbar einsam wir geworden sind! Und… wie seltsam vertraut es sich anfühlte. Nicht für mich persönlich, sondern…«

»Als wäre es eine Erinnerung, die tiefer sitzt als unser eigenes Gedächtnis. Als läge es uns irgendwie im Blut.«

Die Worte klangen so bizarr. Wie sollte er diejenigen, die so etwas nicht spürten, mit einem so albernen Argument überzeugen?

»Das werden wir nicht müssen«, erwiderte Savassan. »Dies ist, was wir gesucht haben, Temlaa. Ich denke, sie stammen von den Ihan-rii, oder sie sind zumindest irgendwie mit ihnen verbunden. Ich glaube, mit diesen Kristallen können wir die Nachrichten, die auf den Artefakten geschrieben stehen, entschlüsseln. Sie werden uns Dinge lehren, von denen wir nur träumen können… nein, Dinge, von denen wir nicht einmal träumen können. Temlaa – wir wissen gar nicht, wie vieles wir nicht wissen.«

Savassan ging abermals zu den Kristallen, doch diesmal berührte er sie nicht. »Hilf mir, ein paar davon aufzulesen. Wir werden mit den anderen Shelak zurückkommen, um mehr zu holen. Damit werden wir arbeiten. Wir können anfangen, die Geheimnisse der Wanderer von Afar zu lüften. Wir werden ihr Wissen kennenlernen, wir werden erfahren, was sie mit uns im Sinn hatten – und wir werden all das werden, was uns bestimmt war.«

*

»Jake?«

Die Stimme gehörte einer Frau, aber nicht Zamara. Außerdem drang die Stimme an sein Ohr, sie erklang nicht in seinem Kopf. Jake öffnete langsam die Augen.

Rosemary sah mit Sorge auf ihn herab. Sie hielt etwas in der Hand, aus dem Dampf aufstieg. »Sie haben lange geschlafen. Ich habe mir allmählich Sorgen gemacht.«

Immer noch etwas schläfrig, berührte er ihren Geist, ohne wirklich darüber nachzudenken, was er da machte – als täte er das schon sein Leben lang. Oder als wäre er Temlaa oder Zamara und nicht Jacob Jefferson Ramsey. Zu seiner Überraschung hatte sie die Wahrheit gesagt. Sie hatte sich um ihn gesorgt. Der Schock dieser Erkenntnis weckte ihn rasch und vollends, und nun schämte er sich ein bisschen dafür, dass er in ihren Gedanken herumgeschnüffelt hatte und zog sich daraus zurück.

»Danke«, sagte er und setzte sich auf. Er schnupperte, und sein Magen knurrte. »Ist das für mich«, fragte er und zeigte auf das erhitzte Fertigmahl in ihrer Hand.

»Mit Empfehlung des Dominions – nur die feinste Küche«, antwortete Rosemary grinsend und reichte ihm das Behältnis. Sie holte auch eines für sich und nahm im Schneidersitz auf dem Boden Platz. Dann zog sie den Deckel ab, schnupperte, wie Jake es eben getan hatte, und seufzte dann, als ihr derselbe nicht zu identifizierende Essensgeruch in die Nase stieg.

»Dumm von mir, aber ich gebe die Hoffnung einfach nicht auf. Möchten Sie mir verraten, wovon Sie geträumt haben? Sah ziemlich heftig aus.«

Er runzelte die Stirn und stieß die Gabel ins Essen. »Warum sollte ich Ihnen irgendetwas erzählen?« Jedes Mal, wenn er daran dachte, was sie ihm und seinen Freunden angetan hatte, wurde er von Neuem wütend auf sie. Was ihn allerdings wirklich ärgerte, war die Tatsache, dass er manchmal vergaß, daran zu denken. Manchmal fing er an, die Auftragskillerin Rosemary Dahl wie ein menschliches Wesen zu betrachten.

Sie seufzte und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht weil ich, abgesehen von dem Alien in Ihrem Gehirn, die Einzige bin, mit der Sie hier reden können.«

»Vielleicht gefällt mir ihre Gesellschaft sogar besser.«

»Herrje, vergessen Sie, dass ich etwas gesagt habe«, erwiderte sie und stand auf. Er starrte sie finster an. Aber da war etwas in ihrem Tonfall…

Bevor ihm bewusst wurde, was er tat, war er schon wieder in ihren Gedanken. Und zum zweitenmal innerhalb kürzester Zeit überraschte sie ihn. R. M. war wirklich nur neugierig gewesen. Sie wollte es wissen. Es interessierte sie, was mit ihm vorging. Zum Teil aus Langeweile, das spürte er, aber auch aus echtem Interesse. Er streifte noch etwas anderes, ein Verlangen nach etwas, eine… Sucht? Zigaretten. Und vielleicht noch Härteres.

Er zog sich sofort aus ihren Gedanken zurück. Ich habe kein Recht, mich aufs hohe Ross zu setzen und sie derart auszuhorchen, dachte er.

»Zamara… die Protoss, die ursprünglich den Kontakt zu mir aufnahm… sie hat mir geholfen, mich an alles zu gewöhnen.«

Rosemary hob eine Augenbraue. »Verstehe.« Sie machte keine Anstalten, sich wieder hinzusetzen.

»Sie ist eine Art von Erinnerungshüterin. Und sie hat mich zu den Anfängen der Protoss zurückgeführt. Sie waren furchtbar primitiv, Rosemary. Wirklich gewalttätig und… irgendwie furchterregend.«

»Protoss? Diese schwebenden, strahlenden Viecher?« Rosemary war jetzt offenkundig verblüfft und nahm wieder Platz.

Er nickte und aß weiter. »Hat mich total schockiert. Aber… ich bin vor allem zweien gefolgt. Ich habe mit angesehen, wie sie die Schrift und das Kartenzeichnen entdeckten. Und jetzt haben sie diese Kristalle gefunden. Große, wunderschöne, leuchtende Dinger. Na, klingelt’s?«

Sie lachte. »Sie wollen mich auf den Arm nehmen. Dieselbe Art von Kristallen, wie sie in der Höhle waren?«

»Genau. Aber wenn man ein Protoss ist, dann ist scheinbar etwas Besonderes daran. Savassan, der ältere Protoss, berührte einen davon, und das half ihm, seinen Schützling besser zu verstehen.«

Sie zog die Stirn kraus. »Dadurch waren sie imstande, Gedanken zu lesen? Durch diese Kristalle?«

»Nein, nein, das konnten sie bereits. Aber die Kristalle halfen ihnen dabei, die Emotionen des anderen zu erspüren. Es ist ein bisschen wie…« Jake wusste nicht weiter. Im Traum, als er es miterlebt hatte, war es so klar gewesen. Kristallklar sozusagen. Nun, da er wusste, wie man Gedanken las, so wie es die Protoss taten – ein wenig jedenfalls –, fand er die menschliche Sprache auf einmal plump und wenig effektiv.

»Es ist, als läse man den Text von Liedern«, sagte er. »Man kann die Texte wie ein Gedicht lesen und die grundsätzlichen Inhalte erfassen. Aber wenn man sie mit einer Melodie unterlegt und mit einer Stimme, dann wird etwas ganz anderes daraus.«

Rosemary wollte sich gerade eine Gabel voll grauen Zeugs an den Mund führen, hielt aber inne und grinste. »Verdammt, Jake, Sie werden ja glatt zum Poeten.«

Er errötete. »Nun ja… die Protoss sind ein poetisches Volk.«

Sie lupfte skeptisch eine Augenbraue. »Ich fürchte, ,Poesie’ ist nicht der Begriff, der mir in den Sinn kommt, wenn ich mir die Protoss ansehe.«

Und er erwiderte ganz ernst: »Das liegt nur daran, dass Sie noch keiner waren.«

KAPITEL 17

Hass und Abscheu trieben ihn an.

Jake fühlte beides durch seinen Körper strömen, spürte, wie es durch sein Blut raste und ihn bis zum Überlaufen erfüllte. Es war rein, es war herrlich, und er schwelgte darin.

Sein Stamm wusste nicht, wo die Shelak die Scheußlichkeiten versteckten, aber das machte nichts. Die Furinax würden sich darauf konzentrieren, die Shelak auszulöschen, und…

*

»Hey, hey, ich bin ein Shelak! Ich bin Temlaa!«

»Du bist Jacob Jefferson Ramsey«, entgegnete Zamara aufreizend ruhig. »Du bist nicht Temlaa. Du hast nur seine Erinnerungen durchlebt.«

»Wer ist dieser Kerl? Er versucht, den Shelak wehzutun.«

»Natürlich versucht er das. Du musst ihn ebenso verstehen wie Temlaa. Du musst ihn bis ins Kleinste kennen, wenn du ein anständiger Hüter dieser Erinnerungen sein willst. Ich trage die Erinnerungen eines jeden Protoss, der je lebte, in mir, Jacob. Und bald schon wirst auch du das tun. Also sei still und lerne.«

*

die anstößigen Relikte der Großen Betrüger zurücklassen und den Launen von Wetter und Zeit ausliefern. Der Dschungel mochte sie sich einverleiben. Sollte…

Jake zog die Schultern hoch und schauderte. Seine Haut wurde fleckig vor Trauer. Obwohl die Großen Betrüger schon so lange fort waren, war die Wunde der Furinax noch immer frisch. Warum? Warum waren sie weggegangen? Warum beharrten die Shelak darauf, sie zu verehren?

Die Furinax hatten versucht, es ihnen zu erklären. Sie hatten versucht, den Shelak klarzumachen, dass die Großen Betrüger es nicht wert waren, verehrt zu werden. Und es gab Gerüchte, dass die Wanderer von Afar es nicht gut mit den Protoss meinten, wenn auch die Einzelheiten im Wind der Zeit verweht waren, der auch nach den Steinen griff.

Jake liebte die Großen Betrüger – er hasste sie –, er tobte und wimmerte. Wie die Wahrheit auch aussehen mochte, eines wusste er sicher: Die Shelak waren Narren ob ihrer verblendeten Vergötterung.

Jake ballte die Fäuste, als seine Haut die Witterung von zwei Shelak aufnahm, die sich zu weit aus der Sicherheit des Dorfes entfernt hatten. Er schirmte seine Gedanken vor ihnen ab und begann sich an sie heranzupirschen.

*

»Ich will das nicht sehen. Ich will da nicht dabei sein.«

»Und doch warst du Temlaa, und mit seinen Händen hast du Furinax getötet.«

»Das war etwas anderes.«

»Nein.« Zamaras geistige Stimme war unerbittlich. »Nein. Das war nichts anderes. Veskaars Gefühle von Angst und Hass sind weder schlimmer noch besser als die von Temlaa. Ein Shelak ist nichts anderes als ein Furinax. Das musst du begreifen!«

*

»Hey, Dornröschen, dein Brei wird kalt.« Jake richtete sich kerzengerade auf. Er war erleichtert.

Du kannst dem nicht aus dem Weg gehen.

Für den Moment schon.

Zamara zog sich grollend zurück. Jake nahm dankbar das erhitzte Fertigmahl entgegen und riss den Deckel auf.

»Nur noch ein paar Tage. Dann können wir heiß baden und ordentlich essen«, sagte R. M.

»Hört sich an wie… das Paradies«, witzelte Jake.

»Nicht ganz«, erwiderte sie und grinste über den Scherz. »Was ich Sie schon die ganze Zeit fragen wollte: Wie sind sie darauf gekommen, wie man in diese verdammte Kammer reinkommt? Ich wette, Val war bis ins Mark schockiert, als er meine Nachricht darüber erhielt.«

»Erfreut, bestimmt, aber geschockt?«

Sie sah ihn an, und wenn er nicht gerade irgendeinem Wunschdenken erlag, dann glaubte er, eine Spur von Mitgefühl in ihren Augen zu entdecken. »Jake… Sie wissen, dass Sie nicht der Erste waren. Ehrlich gesagt, waren Sie aus Valerians Sicht, sozusagen… der Bodensatz. Mit sämtlichen Spitzenleuten hatte er es zuerst versucht. Sie waren ein letzter verzweifelter Versuch. Er hatte bereits alles Erdenkliche probiert, also holte er jemanden an Bord, dessen Mitwirkung eigentlich jeder Vernunft widersprach.«

Ihre Stimme war freundlicher als je zuvor, und er versuchte, seine Überraschung, seine Verlegenheit und seine Enttäuschung zu verbergen. »Wirklich? Naja, ich bin ein Spinner, wissen Sie?«

Sie schaute ihn lange an. »Ja«, sagte sie dann. »Also, Professor Spinner, wie haben Sie etwas geschafft, was den angeblichen »richtigen Wissenschaftlern« nicht gelungen ist?« Sie ließ sich nach hinten auf den Rücken fallen, riss ein Päckchen mit getrocknetem Irgendetwas auf und schüttete es sich in den Mund. Ihr Haar fächerte unter ihrem Kopf zu einem blauschwarzen Heiligenschein auseinander. Sie sah zu ihm auf, in ihren blauen Augen lag Neugier.

Jake stockte der Atem. Er konzentrierte sich auf die Frage.

»Mir wurde klar, dass ich zu sehr versuchte, wie ein Protoss zu denken. Was dumm war, weil niemand versteht, wie ein Protoss denkt.« Rasch fügte er hinzu: »Nun, zu dem Zeitpunkt verstand es jedenfalls niemand. Jetzt verstehe ich es wohl, ein bisschen zumindest. Ich spazierte also umher in jener Nacht und sah mir ein paar der Fossilien in der Nähe des Tempels an. Und mir wurde bewusst, dass ich in einem größeren Rahmen denken musste. Ich musste universell denken. Und der Anblick der Fossilien erinnerte mich an den Goldenen Schnitt.«

»Was zum Teufel ist ein Goldener Schnitt?«

»Das ist ein mathematischer Quotient, der in der Natur, in der Kunst und der Musik immer wieder auftaucht. 1 zu 1,6. Man nennt ihn Phi.«

»Fi?«

»P-h-i«, buchstabierte er und zeichnete das Symbol dafür in die kalte, kartoffelpüreeartige Masse.

Rosemary neigte den Kopf und betrachtete es verkehrt herum. »Ah, okay.« Sie zuckte die Schultern und schüttete sich noch ein paar getrocknete Knusperdinger in den Mund.

»Ich stellte fest, dass das Rechteck diesem Verhältnis entsprach, also berechnete ich, wo der Anfang liegen musste. Man nennt das eine Fibonacci-Folge. Ich legte meine Hand darauf und bewegte sie dann spiralförmig. Und zack… Sesam, öffne dich!«

Rosemary schaute überlegend drein. Die Mischung aus diesem Ausdruck und der Art und Weise, wie sie dalag, ließ sie extrem jung aussehen – und extrem anziehend. In Jakes Kopf tauchte die Idee auf, sich einfach nach vorne zu beugen und sie zu küssen, während sie so… nun, einladend auf dem Boden lag. Aber er verwarf den Gedanken sofort wieder. Zum einen mochte er sie immer noch nicht, ganz gleich, wie attraktiv sie aussah. Und zum anderen würde sie ihm die Nase brechen, bevor er sich ihr auf eine Handbreit genähert hätte.

Er lenkte sich damit ab, den Deckel über dem sogenannten Dessert-Fach des Fertignahrungsbechers abzuziehen. Und keuchte auf.

Rosemary rollte sich rasch herum und folgte seinem Blick.

»O mein Gott, o mein Gott«, sagte sie und stöhnte dabei auf eine Weise, die Jakes Herz schneller schlagen ließ. »Pfirsichpastete…«

Dieser Nachtisch fand sich nur in einem von etwa sechshundert Fertignahrungs-Packs. Jake wusste, dass er selten und kostbar war. Wäre ihm dies an Bord der Gray Tiger passiert, hätte er sich vor Angeboten an Zigaretten und anderen Tauschwaren nicht retten können. Pfirsichpastete war das Einzige aus Fertignahrungs-Packs, das tatsächlich gut schmeckte.

Er blickte zu Rosemary auf und sah, dass ihre blauen Augen auf seinen Nachtisch fixiert waren.

Jake seufzte und schluckte das Wasser, das ihm im Munde zusammengelaufen war, hinunter. Er schob ihr den Becher hin. »Essen Sie’s.«

Sie hätte es beinahe getan, doch dann zögerte sie. Ihre glatte weiße Stirn legte sich in Falten. »Nein. Sie sind derjenige, der mit diesen verrückten Träumen klarkommen muss. Sie sollten es essen.«

»Wir stecken zusammen in dieser Sache drin«, erwiderte Jake. »Wir teilen.«

Er las ihre Gedanken ganz bewusst nicht, und so war er nicht sicher, was die verschiedenen Ausdrücke, die sich plötzlich auf ihrem Gesicht widerspiegelten, zu bedeuten hatten.

Gemeinsam tauchten sie ihre Gabeln in die Pfirsichpastete und genossen die pure Verzückung.

*

Jake schlief nach dem Essen ein. Er träumte. Er war Veskaar, und er zerfetzte zwei Angehörige von Temlaas Familie, spritzte sich ihr Blut ins Gesicht und kostete von der Freude der Furinax.

»Das… das muss aufhören«, sagte Jake zu Zamara. Ihm drehte sich der Magen um, und ihm war körperlich und geistig schlecht.

»Das wird es«, sagte Zamara. »Aber jetzt noch nicht.«

*

Savassan und Jake experimentierten weiter mit den Kristallen. Zunächst waren sie sehr vorsichtig, denn Savassan befürchtete, die herrlichen Objekte könnten eine Gefahr darstellen.

»Du glaubst, es handelt sich dabei um Waffen?«, fragte Jake.

»Ich glaube, sie könnten benutzt werden, um Schaden anzurichten. Ein Stock kann dir helfen, schwierigen Boden zu überqueren. Er kann aber auch einem Feind den Schädel einschlagen.«

»Es ist gut, dass wir es waren, die sie fanden«, meinte Jake. »Hätte ein anderer Stamm sie entdeckt, wären sie tatsächlich nur als Waffen benutzt worden. Wir werden versuchen, von ihnen zu lernen.«

»Die Frage ist… was können wir von ihnen lernen? Und was werden wir mit diesem Wissen anfangen?«, fragte Savassan.

Jake wusste, dass er keine Antwort erwartete.

Telkar und viele andere Shelak hatten die mächtigen Kristalle wirklich lediglich als Waffen betrachtet. Nur weil Savassan so hoch angesehen war, hatten sie nicht darauf bestanden, die Kristalle als bessere Möglichkeiten zum Töten ihrer Feinde einzufordern – vorerst jedenfalls.

»Unsere Zahl nimmt ab«, hatte Telkar gesagt. »All die anderen Stämme haben es auf uns abgesehen. Wir brauchen eine Möglichkeit, uns zu verteidigen, Savassan. Und wenn diese Kristalle uns eine solche Möglichkeit bieten, dann müssen wir sie nutzen.«

»Lasst uns noch etwas mehr Zeit«, hatte Savassan gebeten. »Wir sind die Hüter der Relikte. Wir müssen lernen, sie zu verstehen.«

»Wenn wir bis zum letzten Kind von den anderen Stämmen abgeschlachtet werden«, hatte Telkar unheilvoll entgegnet, »werden die Relikte gar keine Hüter mehr haben.«

Sie hatten ihr Tempo beschleunigt. Sowohl Jake als auch Savassan hatten inzwischen hinreichend Kontakt gehabt, um die Kristalle berühren zu können – Savassan hatte ihnen den Namen »khaydarin« gegeben, der so viel wie »Fokusse des Herzens« bedeutete –, ohne von den daraus folgenden Empfindungen überwältigt zu werden. Es gelang ihnen zunehmend besser, ihre Emotionen auch dann zu teilen, wenn sie die Kristalle nicht anfassten, sondern sich nur in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielten.

Außerdem standen sie, wie Savassan es erwartet hatte, zunehmend mehr in Einklang mit den Relikten. Sie enthielten tatsächlich Geschichten. Sie begannen zu verstehen, was einige der Symbole auf den Artefakten bedeuteten. Es gelang ihnen, Verbindungen herzustellen, die es ihnen ermöglichten, auch andere Geschichten zu begreifen und so noch mehr herauszufinden.

Savassan war nun in etwas vertieft, das er ein »Mysterium« nannte. Etwas, das ihn, davon war er überzeugt, noch weiter auf dem Pfad des Lernens voranbringen würde.

»Hier ist noch mehr… sehr viel mehr«, sagte er einmal zu Jake. »Und uns geht die Zeit aus, alles zu begreifen. Es erstaunt mich, wie dumm wir waren. Wie weit uns die Ihan-rii voraus waren.«

Sie machten weitere Fortschritte. Sie stellten fest, dass sie, anders als zu Beginn, die Kristalle nicht mehr brauchten, um die Gefühle des anderen zu erspüren. Zunächst war es überwältigend gewesen, beängstigend, aber nun fühlte Jake sich durch den stärkeren Kontakt bereichert. Es fühlte sich richtig an. Es fühlte sich an, meinte Savassan, wie etwas, das zu erreichen ihnen bestimmt gewesen war. Und so fühlte Jake sich nun gebadet in der Empfindung von Ehrfurcht und Staunen, die seinen Mentor sanft überliefen, wie Wasser, das über einen glatten Stein rann.

Er spürte auch Savassans Frustration. Die Kwah-kai, kleine Primaten, die im Blätterdach hausten, waren unter den Shelak für ihre Neugier bekannt. Oft wurden sie für warnende Geschichten darüber herangezogen, was mit jungen Shelak geschehen würde, wenn sie zu naseweis waren.

»Ich habe Kleine Hand immer bewundert«, sandte Savassan, und Jake schickte eine Welle der Belustigung zurück. Auch er hatte die Figur Kleine Hand für ihre Neugier bewundert, obgleich die Geschichten dazu gedacht waren, ihn vor solchen Streichen zu warnen, anstatt ihn dazu zu ermuntern. Kleine Hand hätte genau das getan, was sie taten, dachte er. Wie um dies zu bestätigen, landete eines der rotweiß gestreiften Wesen plötzlich auf einem Ast nicht weit von ihnen entfernt, blickte sie aus leuchtend gelben Augen an und schnatterte, bevor es wieder davonsprang, auf einem anderen Ast landete und ein neues Abenteuer suchte. Und seine kleinen Hände, seine kleinen Füße sowie sein kleiner Schwanz trugen es sicher des Weges auf seiner Suche nach weiterem Schabernack.

Die beiden Protoss teilten das warme Gefühl von Belustigung. Doch Jake war sicher, dass das, was auf die Entdeckung durch sie wartete, sehr viel folgenschwerere Auswirkungen haben würde als alles, was je in einer Geschichte um Kleine Hand geschehen war.

Falls ihnen genug Zeit blieb, es überhaupt zu finden.

*

Jake schlief tief, und er wusste, dass er schlief, und er hielt sich verzweifelt an diesem Wissen fest, denn dies war der schlimmste Albtraum, der ihn je heimgesucht hatte.

Natürlich war er schon in Höhlen gewesen; er hatte sogar schon in der Höhle der Relikte geschlafen, in die die Shelak sämtliche Artefakte der Ihan-rii geschafft hatten.

Aber die Höhle in seinem Traum war ganz anders. Noch nie war er so tief unter der Oberfläche von Aiur gewesen – so weit entfernt von dem lebensspendenden Licht, das alle Protoss brauchten. Die Dunkelheit war kühl und hüllte ihn ein, aber irgendwie fühlte Jake sich ganz und gar nicht behaglich. Dies war nicht die Dunkelheit, die er gewohnt war, nicht die Dunkelheit der Nacht, in der Mond und Sterne über ihm waren und das Rascheln des Windes und die vertrauten Geräusche der Nachttiere ihn umgaben. Dies war eine Dunkelheit, die mehr verhüllte als beschützte. Er wusste nicht, woher er das wusste, aber er wusste es.

Gegenstände begannen im Dunkeln vor seinen Augen zu entstehen, Bilder bestimmter Artefakte. Eines davon war der Obelisk. Nur war er im Traum nicht zerbrochen, nicht beschädigt, sondern völlig intakt. Das war es, was er wachen Auges gesehen, bei bewusstem Denken analysiert hatte. Der Obelisk ragte in die Höhe. Die flache schwarze Oberfläche wimmelte von Schriftzeichen, die Jake so gerne gelesen hätte, dass es wehtat…

*

- verdammt. Ich wünschte, ich könnte diesen Obelisken sehen. Ich würde ihn so gerne analysieren, herausfinden, wie alt er ist und ob ich einen Sinn in diesen Schriftzeichen entdecken könnte. Darius war unser Linguist. Gott, er fehlt mir -.

*

Es waren auch noch andere da – der zertrümmerte Pfeiler, den sie gefunden hatten, nun unversehrt, in einem Stück und wunderbar anzuschauen. Und was zuvor nur zerbrochene Steintrümmer gewesen waren, nahm nun Gestalt, Farbe und Form an.

Wieder andere erschienen und verschwanden aus Jakes Blickfeld, bis ihn der Wissensverlust dermaßen frustrierte, dass er vergaß, sich zu fürchten.

Infolge seiner Frustration nahm er nicht länger passiv an dem Traum teil. Ein kleines Stück einer Steintafel schwebte direkt über seinem Kopf und drehte sich träge um seine eigene Achse. Jake griff danach. Lange purpurne Finger schlossen sich um rauen Stein. Plötzlich besaß das Ding Gewicht, und er musste schnell auch noch mit der anderen Hand zugreifen, um zu verhindern, dass es herunterfiel und zerbrach.

Er hob es an und sah die Symbole so deutlich, als seien sie noch ganz frisch. Der Zahn der Zeit hatte nicht daran genagt, andere wütende Protoss-Stämme hatten es nicht verunstaltet, es wies weder irgendwelche Flecken noch Schäden auf. Jakes Blick tastete es ab, und er verstand, er -.

Jake schreckte um sich schlagend aus dem Schlaf auf. Das einzige Licht stammte von den leuchtenden Kristallen.

Savassan wachte sofort auf, er hatte den erregten Ausbruch in Jakes Geist gespürt.

»Ich brauche Werkzeug zum Schreiben!«

Jetzt war Savassan derjenige, der seinem Schüler gehorchte. Er beeilte sich, einen spitzen Stock aus dem Feuer zu nehmen und eine gegerbte Haut zu suchen, derweil Jake seine Hände auf den nächsten Kristall legte und dessen Leuchtkraft anschwellen ließ. Dann war Jake auch schon auf den Beinen, einen der Kristalle in der Hand, während er tiefer in die Höhle der Relikte hineinging, um das Artefakt zu suchen, das er in seinem Traum gesehen hatte. Savassan folgte ihm schweigend, wartete ab und beobachtete.

Nach kurzer Suche entdeckte Jake das Objekt, das er brauchte. Nun begann er das, was er hier davon sehen konnte, auf das Pergament zu übertragen. Als er damit fertig war, schloss er die Augen. Abermals sah er die Tafel im Ganzen und frisch beschriftet, und als er die Augen wieder aufschlug, zeichnete er systematisch auf, was er gesehen hatte. Er versuchte nicht, die Symbole zu übersetzen, noch nicht – er wollte sie nur festhalten, bevor der Traum so weit verblasst war, dass ihm diese Eindrücke wieder abhanden kamen.

»Das alles hast du in deinem Traum gesehen?«, fragte Savassan, den Blick gespannt auf das gerichtet, was Jake niederschrieb.

»Ja. Diese Tafel und viele andere Dinge.«

Savassan nickte. »Ich habe sie ebenfalls gesehen. Die Symbole erschienen und verschwanden wieder, so schnell, dass ich sie nicht lesen konnte.«

Jake erwiderte etwas beschämt: »Meine Enttäuschung nahm zu, und so schnappte ich mir einfach diese Tafel. Als ich sie berührte, hörten die Symbole auf zu verschwinden.«

Jake verspürte Überraschung, Belustigung und Bewunderung, die von Savassan auf ihn herüberspülten. »Dein Ungestüm hat uns vielleicht mehr eingebracht, als wir jetzt schon erahnen können.« Sein Blick flog rasch über die Symbole. »Das sieht aus wie die Beschreibung eines Ortes.«

Jake schauderte. »Vielleicht die Höhle, die wir im Traum sahen.«

»Das halte ich für wahrscheinlich. Aber die Beschreibung ist noch unvollständig. Wir müssen mehr in Erfahrung bringen.«

Nun, da Jake herausgefunden hatte, dass er die Artefakte in seinen Träumen berühren konnte, waren sowohl er als auch Savassan in der Lage, ihre Träume zu lenken. Sie erwachten und zeichneten alles auf, was sie gesehen hatten. Einmal, als Savassan die Symbole durchging, wurde er plötzlich blass und musste sich zitternd hinsetzen. Jake brauchte nicht einmal zu fragen, was los sei. Denn die Antwort strahlte klar und deutlich von Savassan aus: »Das sind Anweisungen.«

»Anweisungen wofür?«

»Das weiß ich nicht. Aber der Gedanke lässt mir das Herz schwellen.«

Sie machten sich auf und folgten dabei den Wegbeschreibungen, die Jake im Traum gekommen waren. Sie brauchten zwei Tage, aber schließlich fanden sie die Stelle, die sie suchten. Enttäuschung stieg in Jake auf. Es schien, als sei ihr Ziel nicht mehr – und nicht weniger – als eine große Ansammlung von Khaydarin-Kristallen, die wie Speere aus dem flachen Boden aufragten. Die Gegend war steinig und unfruchtbar, und so war es kein Wunder, dass sie so lange unberührt und, glücklicherweise, unversehrt geblieben war.

Jake sagte zögerlich: »Sie sind wunderschön… aber ich dachte, wir würden den Eingang zu einer weiteren Höhle finden.«

Savassans geistige Stimme klang resigniert und dennoch hoffnungsvoll. »Lass uns diese Kristalle berühren und sehen, was sie uns zu erzählen haben.«

Die beiden Protoss streckten die Arme aus und legten voller Respekt ihre purpurnen Hände auf die flache, kühle Oberfläche der Kristalle. Fast augenblicklich kamen ihnen Informationen zu. Bruchstückhaft, schwer zu verstehen, aber nichtsdestotrotz Informationen.

Jake ließ einen Kristall los und legte seine Hand auf einen anderen. Weitere, neue Informationen füllten seinen Geist. Sein Kopf begann zu schmerzen.

»Wir müssen sie in einer bestimmten Reihenfolge berühren«, sagte Savassan und legte damit das letzte Steinchen des rätselhaften Mosaiks an seinen Platz.

»Aber… wie sieht diese richtige Reihenfolge aus?« Jake wirkte ärgerlich. Hier gab es buchstäblich Hunderte von Kristallen. Welche davon waren wichtig? Und wie sollten sie das unterscheiden können?

Jake blickte seinen Mentor an, dann schaute er auf seine Hände hinab. Er sah die Finger lang und zierlich auf dem Kristall ruhen. Es war, als betrachte er sie zum ersten Mal. Die Nägel, die Gelenke, ihre Gliederung. Drei Knochen in jedem Finger, von denen jeder auf eine bestimmte Weise mit einem anderen Verbunden war.

Der Wind blies, und Jakes Augenmerk wurde hin zu einem einzeln stehenden Baum, der hier wuchs, und seinen Blättern gelenkt, die raschelten und sich bewegten.

*

»Ja!« Jake jubelte beinahe. »Er ist so nahe dran!«

»Das ist er. Das sind sie. Dies ist ein kostbarer und großer Moment in unserer Geschichte«, sagte Zamara.

»Ich wünschte, ich könnte in der Zeit zurückgehen und ihm sagen, dass er im Begriff ist, etwas Wunderbares zu entdecken.« Jake spürte Zamaras trockenen Humor. »Du hast keine Ahnung, wie oft ich mir das selbst schon gewünscht habe. Bedauerlicherweise können wir aber nur beobachten. Wir können nichts ändern. Das kann – «

»- verdammt frustrierend sein.« Zamara pflichtete ihm bei.

*

Neben ihm blickte auch Savassan auf seine Hände und die Blätter. Dann hob er die Halskette aus Muscheln an, die er trug, und betrachtete sie. Die Muschelschale in der Mitte war die einer Art Schnecke. Sie war wunderschön, gewölbt, angenehm anzufassen und anzusehen.

Dann hob Savassan dieses prächtige Gehäuse zu Jakes Entsetzen hoch über den Kopf und schlug es mit Wucht auf einen Stein, wo es zerbrach. Jake starrte entgeistert auf die Splitter. Ein besonders großes Stück war noch intakt, und Jake konnte die Kammern sehen, die sich das Tier beim Wachsen gebaut hatte.

»Savassan!«, sandte Jake bestürzt. »Das war eine alte Halskette, die man dir mit Ehren übergeben hat. Warum hast du sie zerstört?«

Savassan richtete den Blick seiner funkelnden Augen auf seinen Schüler. »Sie ist mehr als nur das«, sandte er, die Worte von einer derart machtvollen Emotion gesäumt, dass es Temlaa fast hinwegfegte. Es war Ehrfurcht, Staunen, Erregung, Angst, Freude – alles zu einer extremen Empfindung vermengt. Jake krümmte sich beinahe darunter. »Es ist ein Geheimnis… ein großes Rätsel für uns.«

*

»Ein großes Rätsel. Ein Geheimnis. Du hast dich erinnert«, sagte Jake zu Zamara. »Du hast dich an diesen Moment erinnert. Als die Protoss das Prinzip des Goldenen Schnitts entdeckten. Darum hast du die Tür zu der Kammer so angelegt.«

»Ja«, sagte Zamara. »Wir nennen es Ara’dor, das bedeutet ,perfektes Verhältnis’. Sie mussten außerhalb ihrer eigenen Denkmuster denken. Sie mussten sich an etwas Größeres als sich selbst wenden… etwas Unveränderliches und Universelles. So wie du es getan hast.«

»Du hast nicht damit gerechnet, dass ich selbst dahinterkommen würde«, dachte Jake grinsend.

»Das habe ich nicht«, gestand Zamara unverblümt. »Ich war furchtbar enttäuscht. Ich fürchtete, meine Gelegenheit sei ungenutzt verstrichen.«

Er versuchte, ihre Gedanken zu lesen, und spürte, dass sie noch immer nicht sicher war, ob sie Recht gehabt oder sich geirrt hatte.

*

Es war ein und dasselbe – das Gehäuse, die Adern der Blätter, seine eigenen Finger. Jeder Teil war etwas länger als der vorherige, und er kniff die Augen zusammen ob dieser Präzision und Schönheit.

»W-was bedeutet das?«, fragte Jake.

Savassan war ganz damit beschäftigt, die eine große Ihan-rii-Tafel auszupacken, die sie immer bei sich trugen. Auf dieser Tafel waren die unterschiedlichsten Zeichen zu finden, und daher war sie von Nutzen, falls sie auf andere Artefakte stießen, die sie entziffern mussten.

Er legte sie hin. Seine Hände zitterten. Die Tafel war nicht ganz quadratisch. Sie war nicht so breit, wie sie lang war… und das Verhältnis war…

»Es ist dasselbe«, sandte Temlaa, und ihm wurde beinahe schwindlig. »Die Ihan-rii haben all das erkannt. Sie wussten es.«

Synchron drehten die beiden Protoss sich zu der Ansammlung von Kristallen um. Temlaa sah nun, dass sie nicht willkürlich angeordnet waren. Sie folgten einem Muster, sie wiesen eine Vorsätzlichkeit auf, die ihm bisher entgangen war.

Er sah auf seine Hände hinab und blickte dann auf zu Savassan.

Savassans Augen schlossen sich unter der Andeutung eines Lächelns. »Tu du es, mein Schüler«, sagte er. »Die Ehre soll dir beschieden sein.«

Jake wandte sich den Kristallen zu, dann blickte er wieder auf die zerbrochene Muschelschale. Ihr Ursprung schien an einer Stelle leicht neben der Mitte zu liegen. Letztlich war dieser Punkt für den Anfang wohl so gut wie jeder andere.

Jake beugte sich nach vorne und berührte den Kristall, dann bewegte er die Hand entgegen der Richtung des Sonnenlaufs und fuhr die Windungen des Muschelgehäuses nach. 1… 1,6.

Er berührte den nächsten Kristall, und plötzlich begannen beide Kristalle stärker zu leuchten und gaben ein schwaches Summen ab. Jeder Kristall hatte seinen eigenen Ton, aber sie harmonierten perfekt, schmeichelten sich in sein Ohr.

*

»Da ist das Summen.«

»Ja. Da ist es.«

*

Jake zuckte erschrocken zurück und sah Savassan verstört an. Der ältere Protoss wirkte ebenfalls überrascht, aber doch eher fasziniert als beunruhigt. Er nickte Jake zu zum Zeichen, dass er fortfahren solle.

1… 1,6. Ein dritter Kristall leuchtete auf. Ein weiterer Ton ergänzte die Melodie. Vorfreude – und kein bisschen Angst – beschleunigte Jakes Herzschlag. Er setzte den Prozess fort. Die Kristalle, die er berührt hatte, pulsierten nun, und die Laute waren unglaublich schön, betörend und durchdringend, sie strichen über seine Knochen bis in sein Blut und sein Herz und ließen ihn erschauern.

Schließlich bestand nur noch eine Lücke im Muster. Jake warf Savassan einen Blick zu, der Ältere nickte. Langsam streckte Jake eine Hand aus und berührte den letzten Kristall.

Die Erde grollte, und Jake und Savassan machten einen Satz nach hinten. Die Kristalle sangen jetzt, ihre Melodie war süß und rein und eindringlich. Zu Jakes völligem Erstaunen erschienen Linien um die Ansammlung von Kristallen herum und bildeten ein Rechteck. Das Seitenverhältnis des Rechtecks betrug, natürlich, 1 zu 1,6.

Das so umrahmte rechteckige Stück Erdboden begann sich zu heben, löste sich aus dem Grund, als sei es ausgestochen worden und würde nun von unsichtbarer Hand in die Höhe gehoben. Es schwebte über ihnen, und nur einzelne Erdbröckchen beeinträchtigten die Perfektion des Augenblicks. Jake blickte eine Sekunde lang wie geistig umnachtet in die Höhe, hatte Angst, das Stück Boden könnte auf sie herunterkrachen. Doch letztlich war seine Neugier größer als seine Angst, und er schaute nach unten, um herauszufinden, was das herausgelöste Rechteck enthüllt hatte.

Kein braunes Erdreich jedenfalls. Nicht einmal eine Höhlung im eigentlichen Sinne. Denn keine auf natürliche Weise entstandene Höhle war so perfekt, so schön. Die Wände, obschon unübersehbar aus Erde und Stein, waren darüber hinaus irgendwie… mehr als nur das. Eine Art Metall war darin eingewoben, wie ein leuchtender goldener Faden in eine braune Decke. Er fing das Dämmerlicht auf und reflektierte es. Stufen waren in das Erdreich gehauen, so präzise, dass jede Linie perfekt war. In die Wand eingebettete Kristalle beleuchteten den Weg hinab ins Herz des Bodens.

Sie standen am Beginn der Treppe, als seien sie festgefroren.

»Um dies zu entdecken, wurden wir hierher geführt«, sagte Savassan. »Das ist unsere Bestimmung, Temlaa. Wir können ihm jetzt nicht mehr den Rücken kehren.«

Jake stand einen Moment lang reglos da, in ihm jagten sich die Emotionen. Dann begannen die beiden Protoss, langsam und vorsichtig, das geheime Herz der Erde zu betreten.

*

»Eine Höhle, ja?«

»Ja. Wenn sie die Khaydarin-Kristalle in einer anderen zufällig entdeckten, dann frage ich mich, was sie in einer Höhle finden werden, die ihnen im Traum erschien.«

»Zamara sollte es Ihnen einfach verraten«, meinte Rosemary. Sie war wieder ganz pragmatisch. Im Pilotensessel sitzend reflektierte sie die Situation mit Jake Ramsey. Zunächst hatte es sie lediglich interessiert, dass er die Informationen beherbergte, über die ihr Auftraggeber sich freuen würde. Als Jake angefangen hatte, über sein Erlebnis zu reden, hatte sie nur gelächelt und genickt. Aber jetzt…

Sie hatte sich nie sonderlich um die Protoss oder die Zerg geschert, zumindest nicht in einem Maße, das über das rein Geschäftliche hinausging. Sie hatte sich darüber informiert, wo man sie treffen musste, um sie garantiert zu töten, und wo man ihnen am ehesten über den Weg lief, aber das war’s auch schon gewesen. Jetzt allerdings hatte sie von Jake Dinge über sie erfahren, die sie tatsächlich neugierig machten und faszinierten. Sie war in Gedanken so damit beschäftigt, dass sie regelrecht zusammenzuckte, als die Konsole anfing zu piepsen. Jake fuhr in die Höhe. Sie sahen einander an und lachten.

»Wir sind in der Nähe von Dead Man’s«, sagte Rosemary. »Keine Nachricht von Ethan, also gehe ich davon aus, dass das Dominion sich hier nicht herumtreibt. Anschnallen, Jake. Der Spaß beginnt.«

KAPITEL 18

Rosemary ließ die Kapsel auf einer kleinen Lichtung etwa vier Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen aufsetzen. Sie landete das kleine Schiff geschickt und lenkte es mit eingeübter Leichtigkeit in einen Winkel unter einem überhängenden Felsen. »Kann gar nicht glauben, dass mir den Parkplatz noch niemand weggeschnappt hat«, scherzte sie erfreut. »Aus der Luft ist das Ding jetzt nicht mehr zu sehen. Scheint, als wende das Blatt sich zu unseren Gunsten.«

Sie schaltete alles ab und machte sich dann daran, den Waffenschrank zu plündern, holte nicht weniger als fünf pistolenartige Handfeuerwaffen heraus und warf zwei davon Jake zu. Er fing eine auf, die andere erwischte er nicht. Sie seufzte.

Rosemary schwankte zwischen dem AGR-14-Gaußgewehr, das wie ein Teil von ihr zu sein schien, und einer Schrotflinte. Am Ende entschied sie sich für die Flinte. »Leichter und auf kurze Distanz genauso effizient. Sollten wir je Waffen einsetzen müssen«, sagte sie, »werden uns die Handfeuerwaffen den größeren Dienst erweisen. Wenn der Fall eintritt, wird es sich um einen Angriff aus nächster Nähe handeln. Wissen Sie, wie man die benutzt?«

Jake nickte. Der Gedanke aber verursachte ihm leichte Übelkeit. Er befestigte die beiden Waffen an dem Gürtel, den sie ihm gegeben hatte. Sie hielt inne und musterte ihn. »Dass Sie nicht duschen konnten, gereicht Ihnen zum Vorteil«, meinte sie. »Sie sehen so hübsch verwegen aus. Versuchen Sie, nicht so sorgenvoll dreinzuschauen, okay?«

»Ich werde versuchen, so schmuddelig und bedrohlich wie möglich zu wirken«, erwiderte er trocken.

»Bleiben Sie einfach in meiner Nähe, okay? Wenn wir Glück haben, werden wir hier nicht länger als eine Stunde bleiben müssen. Ethan sagte, ich würde die Person, die uns in Empfang nehmen wird, erkennen, und ich weiß genau, wo diese Begegnung stattfinden wird.« Sie begutachtete ihn noch einmal von oben bis unten. »Vielleicht sollten Sie hier warten. Ich komme dann zurück und hole sie.«

»Von wegen«, versetzte er.

»Vermasseln Sie’s nicht, ja? Überlassen Sie alles, was auf uns zukommt, einfach mir.«

»Soll mir recht sein.«

Mit einer geschmeidigen, routinierten Bewegung hängte sich Rosemary die Flinte über den Rücken. »Dann auf nach Paradise.«

*

Jake war schon auf vielen üblen Planeten gewesen, und obschon dieser Ort nicht mit dem Elend von Gelgaris mithalten konnte, war es doch schlimm genug hier. Es war steinig und öde, und der Himmel wies ein kränkliches Rotbraun auf. Feiner Staub von derselben Farbe bedeckte alles.

In den Außenbezirken von Paradise drängten sich kleine Baracken aneinander. Kochdünste vermischten sich mit dem Gestank von Öl, dem beißenden roten Staub und dem Geruch ungewaschener Körper, während Jake und Rosemary vorwärtsschritten.

Er spürte, wie sich Blicke in ihn bohrten, und hörte das Geräusch von Waffen, die durchgeladen wurden. Er und Rosemary gingen nebeneinander her. Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass sich Gestalten parallel zu ihnen bewegten.

Jake hielt den Blick geradeaus gerichtet und ging weiter. Plötzlich zuckte er zusammen und hob eine Hand an sein Gesicht. Als er sie wegnahm, war sie feucht und glänzend von einem Batzen Speichel.

Rosemary wirbelte herum und feuerte die Schrotflinte ab. Der Mann, der Jake angespuckt hatte, strauchelte, Blut brach aus einem Dutzend Wunden, die ihm Diamantspatgeschosse gerissen hatten, dann fiel er zu Boden.

Jake konnte nur hinstarren. Sag nichts. Tu nichts. Die Stimme in seinem Kopf duldete keinen Widerspruch.

Rosemary sah sich um, die Flinte noch immer schussbereit. »Hat noch jemand das Bedürfnis, uns anzuspucken?«, fragte sie herausfordernd.

Jake riss den Blick von dem toten Mann los. Um sie herum befand sich eine Handvoll Leute, sowohl Männer als auch Frauen, die hart, wütend und zum Töten bereit wirkten. Doch keiner von ihnen sah jetzt ihn an. Ihre Aufmerksamkeit wurde von dem zierlichen Mädchen mit dem blauschwarzen Bubikopf und der großen rauchenden Waffe gebannt.

»Das dachte ich mir«, sagte Rosemary. Sie drehte sich um und warf Jake einen Blick zu. »Geben Sie der Leiche einen Tritt«, sagte sie leise.

»Was?«, flüsterte er verzweifelt.

»Tun Sie es einfach.«

Tu es, Jacob.

Jake holte mit dem Fuß aus und versetzte dem Toten einen harten Tritt. Er vollführte einen Ruck, und Jake spürte, wie ihm Galle in der Kehle aufstieg.

»Und jetzt drehen Sie sich um und gehen weiter. Machen Sie einen stinkigen Eindruck.«

Er tat sein Bestes, um ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Sein Rücken kribbelte, als würde er von den Augen, deren Blicke auf ihm lagen, körperlich berührt.

»War wahrscheinlich ganz gut so«, meinte R. M. »Die Nachricht wird uns vorauseilen, und vermutlich wird es recht ruhig für uns werden.« Sie sah zu ihm hoch und grinste flüchtig. »Hab Ihnen ja gesagt, dass es hier rau zugeht.«

Er erwiderte nichts. Die Stadt selbst war von noch schlimmerer Art als erwartet. Schlimmer, weil sie überfüllt und laut war und weil es viel zu viele Gebäude gab, aus denen andere ungesehen auf sie schießen konnten. Bei den meisten handelte es sich um standardisierte Fertigbauten, die alle schon bessere Zeiten gesehen hatten. Einige waren mit dem Gestein, das das einzige auf diesem Planeten verfügbare Baumaterial zu sein schien, und Trümmern von Fahrzeugen oder Schiffen abgestützt. Jake wusste, dass manchmal ganze Kolonien widrigen klimatischen Bedingungen zum Opfer fielen. Kleine Städte, die einst aus Kirchen, Geschäften und Familienhäusern bestanden hatten, wurden baufällig… Aber dieser Ort hier war niemals etwas anderes gewesen als das, was Jake nun vor sich sah.

Rosemary schaute sich mit wachen blauen Augen um. »Ich sehe niemanden, den ich kenne«, sagte sie mit leichtem Stirnrunzeln. »Aber wenn das Dominion hier herumschnüffeln würde, wäre es nicht so ruhig. Kommen Sie, verschwinden wir von der Straße.«

Sie fasste ihn am Arm und dirigierte ihn auf ein verwahrlostes Gebäude zu. Er machte sich auf wüste Prügeleien und Schüsse gefasst. Stattdessen empfing sie unheimliche Stille. Die Tür war alt und zerschrammt.

R. M. hielt kurz inne. Er sah sie überrascht an, und noch ehe ihm bewusst wurde, was er da tat, las er ihre Gedanken.

Rosemary kannte diesen Ort gut. Zu gut. Sie hatte zahllose Tage hier verbracht und war unglücklich bei der Vorstellung, wieder hier zu sein. Als sie die Tür öffnete, strömte ein widerwärtiger Geruch heraus, und Jake musste sich zusammenreißen, um nicht zu husten.

Ihre Eindrücke attackierten ihn. Chaotisch, irr, wütend, ekstatisch schlängelten sich die Gedanken und Gefühle in sein Gehirn, umschwirrten ihn, badeten ihn in Weichheit und Empfindung, stachen auf ihn ein…

Er wankte einen Schritt nach hinten, und Rosemary warf ihm einen wütenden Blick zu.

Ein veränderter Geist kann verwirrend und manchmal schwer zu beherrschen sein, sandte Zamara auf seltsam beruhigende Weise. Er spürte, wie sie die ungewollten, beängstigenden Bilder sanft aussperrte und ihre Präsenz wie einen Schutzschild zwischen das Furchteinflößende und ihn stellte.

Und er hatte geglaubt, normale Allerweltsgedanken aus gesunden und nicht drogenumnebelten Köpfen wären schon schwer zu handhaben.

Er zitterte. Rosemary trat näher, um ihn unauffällig zu stützen. Er sah entsetzt zu ihr hinab. Er erinnerte sich vage daran, dass sie gesagt hatte, dass sie und Ethan hier ihr erstes »Rendezvous« hatten. Er entsann sich ihres Verlangens nach einer Zigarette und andeutungsweise noch nach etwas anderem -

Und dann traf ihn die Erkenntnis. Rosemary Dahl war eine genesende Süchtige. Und sie hatte Ethan Stewart in einer Drogenhöhle kennengelernt.

Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an und schüttelte ihn kaum merklich. »Reißen Sie sich zusammen«, flüsterte sie scharf, dann drehte sie sich um und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Zitternd tat er es ihr nach.

Hier gibt es keine Gedanken, die du lesen müsstest, Jacob, sandte Zamara. Und wieder empfand Jake die Worte, obgleich sie von Sorge durchmischt waren, als beruhigend.

Seine Augen gewöhnten sich an die trübe Beleuchtung. Es gab hier weder Fenster noch echtes Mobiliar, nur schmutzige Matratzen und Kissen, die über den Boden verstreut lagen. Die Süchtigen hingen wie Tote auf den Polstern. Nur das leise Stöhnen – vor Schmerz oder Ekstase – und vage Bewegung wiesen darauf hin, dass sie die finale Folge ihrer Abhängigkeit noch nicht erreicht hatten.

Junge Frauen und Männer gingen hin und her, trugen Handtücher und Eimer mit Wasser und wischten die Schweinereien auf, die diejenigen, die zu benebelt waren, um sich in den dafür vorgesehenen Bereichen zu erleichtern, hinterließen. Im schwachen Glanz von billigen Lampen erhaschte Jake einen Blick auf etwas Glänzendes, das sie um den Hals trugen.

Waren diese Leute… Sklaven?

Ehe er etwas anderes tun konnte, als nur zu glotzen, schob Rosemary ihn durch den Raum und auf eine weitere Tür zu. »Da drin ist es besser«, sagte sie. »Das hier ist der Ort für das billige Zeug.«

In dem abgegrenzten Bereich, in den sie jetzt gelangten, war es ruhiger und sauberer. Es waren immer noch Stöhnlaute zu hören, und es lagen Leute auf dem Boden, und es roch auch hier nach irgendeiner Art von Rauch. Aber es fehlte der brechreizerregende Gestank von Exkrementen und ungewaschenen Körpern. Der Boden war weich und mit Teppich ausgelegt, die Kissen üppiger. Und die… Bedienungen hier trugen Tabletts mit einer Auswahl von Drogen und nicht Eimer und Putzlappen. Andere saßen an einer Bar, wo man ihnen verschiedene Getränke, Rauchwaren oder Delikatessen sonstiger Art anbot.

Jake war nicht bewusst gewesen, dass es solche Einrichtungen gab. Rosemary hingegen wirkte völlig unbeirrt. Er wandte sich ihr zu und sah sie an, erstaunt, dass sie einst zu denjenigen gehört hatte, die sich in diesem Loch am Boden wälzten, erstaunt, dass es ihr gelungen war, all dem den Rücken zu kehren und Meisterin in einer Profession zu werden, die hohe Intelligenz, schnelle Reflexe und ausgezeichnete Fähigkeiten verlangte.

Sie ließ den Blick aufmerksam durch den Raum schweifen. Plötzlich grinste sie. »Dort ist unser Ticket, mit dem wir aus dieser Sache rauskommen werden«, flüsterte sie ihm zu und nickte in Richtung einer hochgewachsenen, muskulösen Frau, die den Raum gerade erst betreten hatte. Die Frau sah eigentlich gar nicht wie Rosemary aus, und doch sah sie ihr gleich. Sie hatten dieselbe Haltung, dieselbe Ausstrahlung, obwohl diese Frau fast so groß und kräftig wie Jake war. Ihr Haar hatte sie sich abrasiert bis auf einen goldblonden Pferdeschwanz, der ihr bis über die Hüfte hing. Ihre nackten Arme waren schwarz und wiesen eine Reihe von Tätowierungen auf, die Jake in diesem trüben Licht nicht erkennen konnte. Er war aber auch ziemlich sicher, dass er das gar nicht wollte.

Die Frau entdeckte Rosemary und nickte leicht. Sie kam zur Bar und stellte sich neben sie.

»Schön, ein bekanntes Gesicht zu sehen«, sagte R. M. und fügte noch hinzu. »Zumindest jemand, der nicht bis obenhin zugedröhnt ist.«

Die Frau lachte kehlig. »Freut mich auch, R. M. Du siehst gut aus.« Ihr Blick fiel auf Jake. Jake rang mit dem Impuls zu zittern. »Ist das der Typ?«

»Das ist unser Junge«, sagte R. M. »Aber ich nehme an, du bist nicht hier, um uns zu einem Drink oder einem Stim-Schuss einzuladen, Leeza.«

»Jedenfalls nicht in diesem Laden«, antwortete Leeza mit ihrer rauen Stimme. »Gehen wir.«

Sie musterte Jake noch einmal, und irgendetwas… ließ ihn innerlich frösteln. Irgendetwas stimmte nicht. Er fand seine Stimme wieder und war erleichtert, dass sie kräftig und entspannt klang. »Wie lange kennen Sie sich schon?«

»Sechs Jahre«, sagte R. M. »Wir haben eine Menge durchgemacht, was, Leez?«

Leeza grinste. »Das kannst du laut sagen. Aber je schneller wir hier rauskommen, desto lieber ist es Ethan und mir. Kommt.«

Zamara…?

Sie ließ die Schranken fallen. Jake wappnete sich für den Ansturm der drogenumnebelten Gedanken und Empfindungen und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Leeza.

Rosie ist nicht dumm. Und Ethan wird gleich hier sein. Wenn ich diese Witzfigur, die sie mitgebracht hat, nicht dazu bringe, dass er sich in Bewegung setzt, wird es zu spät sein…

Er starrte Leeza an. Sie starrte zurück. Rosemary sah von einem zum anderen. Jake schüttelte den Kopf. »Nein.« Als Leeza mit der Hand nach dem Holster ihrer Handfeuerwaffe griff, riss R. M. ihre eigene schon heraus und schoss ihrer früheren Kollegin mitten ins Gesicht.

Leezas unerschrockene Züge verschwanden in einer Wolke aus Blut, Knochen und Hirnmasse.

Jake zuckte unter dem Schuss zusammen. Schreie brandeten auf.

»Verdammt, Jake, ich hoffe Sie hatten Recht, was sie angeht«, schrie Rosemary, während sie Jake zum Ausgang stieß. Jake stolperte über einen daliegenden Körper und versuchte, sich nicht zu übergeben. Er spürte, wie Zamara die schützende Barriere wieder aufbaute, und beruhigte sich ein wenig. Er rappelte sich auf und rannte so schnell er konnte in Richtung Ausgang.

Rosemary schoss im Laufen, und Jake hatte den beklemmend mitleidslosen Gedanken, dass die armen Sklaven nun mehr würden aufwischen müssen als nur Exkremente.

»Bleib dicht bei mir!«, rief Rosemary. Jake gehorchte. Sie stürmten zur Tür hinaus und jagten die Straße hinunter. Er spürte, wie Zamara sich in seinem Geist regte, und die Barriere wurde abermals gesenkt.

Konzentrier dich, Jacob. Lausche auf die Gefahr inmitten der Furcht und Wut. Euer Leben hängt davon ab.

Jake dachte flüchtig an Temlaa und Savassan, die durch den dunklen, dunstigen Regenwald Aiurs rannten, nach den Gedanken von Räubern espernd, ganz gleich, ob Tier oder Protoss. Er klammerte sich an dieses Bild und versuchte, sich gleichzeitig zu konzentrieren und zu laufen.

- hab freie Schussbahn -

»Links!«, rief Jake. Rosemary drehte sich scharf um und schoss. Keine Gedanken mehr von links.

- weiß nicht, was los ist, aber ich verschwinde – Rosemary wandte sich der Bewegung zu, doch Jake schrie:

»Nein, er macht uns nur Platz!«

Die zierliche Killerin zögerte, dann senkte sie ihre Waffe und rannte weiter. Jake empfand flutartige Erleichterung. Inmitten all dieses Schreckens und Tötens war es ihm gerade gelungen, ein Leben zu retten.

- verdammt, Trouble, was glaubst du eigentlich, dass du da tust?

»Trouble?« Jake fing ein flüchtiges Bild von Rosemary auf, wie sie auf einem Bett lag. Ihr schwarzes Haar und ihre blasse Haut bildeten einen starken Kontrast zu dem roten Laken, mit dem sie sich zugedeckt hatte und…

Das war nicht seine Fantasie, diesmal nicht. »Ethan!«, schrie er. »Er kommt!«

Keinen Herzschlag später hörte er das charakteristische Geräusch sich nähernder Hover-Cycles. Sechs dieser Fahrzeuge tauchten scheinbar aus dem Nichts auf. Vier zischten an ihnen vorbei, und Jake erhaschte einen Blick auf die Schutzpanzerung und feuernde Waffen. Die anderen zwei stoppten abrupt vor Jake und Rosemary.

Der Fahrer des ersten Bikes war absolut dunkel gekleidet. Seine Haut war gebräunt, seine Augen braun, sein Haar schwarz, und seine sehr weißen Zähne blitzten in einem Grinsen.

»Hallo, Trouble. Guten Tag, Professor. Steigt auf und haltet euch fest.«

Jake und Rosemary leisteten der Aufforderung rasch Folge. Rosemary sprang hinter Ethan aufs Bike – es konnte niemand anders sein – und schlang ihre Arme um ihn. Jake folgte ihrem Beispiel beim Fahrer des zweiten Bikes, einem großen Mann, der nur aus Muskeln zu bestehen schien. Jake konnte nicht einmal um ihn herumsehen, als sie abhoben.

Du musst dich sofort ausruhen, sandte Zamara. Du hast heute viel Kraft darauf verwendet, dich zu schützen und die Gedanken anderer zu erkunden. Das hast du sehr gut gemacht.

Zamara, ich muss mit diesem Mann reden.

Wenn du dich nicht auf der Stelle ausruhst, wird dein Gehirn Schaden nehmen. Das kann ich nicht zulassen.

Die Landschaft, wenn man denn von einer solchen sprechen konnte, huschte vorbei. Jake wurde ein wenig schwindlig. Schließlich verlangsamte das Bike und hielt an.

Er stieg mit weichen Knien ab, wurde sich vage bewusst, dass er und Rosemary an Bord eines kleinen, sehr neu aussehenden Schiffes gehen sollten, bekam am Rande mit, dass um ihn herum Menschen redeten – aber ihre Worte waren unverständlich –, und dann merkte er, dass der Boden ihm wie durch Nebel und rasend schnell entgegenkam. Hände packten ihn, und dann hörte er auf zu denken.

KAPITEL 19

Anfangs waren die Wände glatt. Doch als sie langsam tiefer kamen, bemerkte Jake, dass die Beschaffenheit sich änderte.

Die Farbtöne waren schwarz, silbrig und grau, und in zunehmendem Maße wurden dünne, fadenartige Wirbel sichtbar. Jake strich mit den Fingern darüber. Sie waren glatt, wie Ranken, und für den Bruchteil eines Augenblicks hätte Jake schwören mögen, dass er… lieben in ihnen spürte. Leben? In Gestein? Wie sollte das möglich sein? Aber andererseits war dies eine Hinterlassenschaft der Ihan-rii. Wer wusste schon, was möglich war, wenn sie darin verwickelt waren? Er schauderte, während sie ihren Abstieg fortsetzten und es stetig kälter wurde.

Jake nahm einen schwachen, tiefen Ton wahr, der vibrierend über seine Knochen strich. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er ihn schon seit einer ganzen Weile hörte, aber er glich seinem inzwischen rasenden Herzschlag, sodass er ihn nicht als Geräusch, das von außen kam, erkannt hatte.

Die Treppe machte eine Kehre und mündete dann ohne Vorwarnung in Dunkelheit. Das Licht der in die geäderten Wände eingebetteten Edelsteine schien hier aufzuhören.

Jake und Savassan blieben stehen. Jake spürte, wie Luft ihn sanft umspielte, und das verriet ihm, dass vor ihnen ein weiter, offener Bereich liegen musste.

Offen? So tief unter der Oberfläche? Wie groß war dieser Ort?

Savassan zögerte nur einen Moment lang, dann setzte er den Fuß auf die letzte Stufe.

Das Licht glomm auf wie in einer beschleunigten Morgendämmerung, ein sanftes Weiß, das einen Kontrast zu dem juwelenartigen Schimmer bildete, der die Treppe beleuchtet hatte.

Der Bereich, der sich vor ihnen auftat, war weit, die Luft kühl, sanft und rein. Steinformationen ragten aus einem künstlich geglätteten Boden auf, nicht grob und klingenartig, sondern poliert und behauen. Darin eingebettet waren kleine, blinkende Edelsteine in vielerlei Farben. Das weiche weiße Licht kam direkt aus der Decke. Sie leuchtete, als würde sie von oben beschienen.

Jake war zutiefst gerührt. Alles schien im Gleichgewicht zu sein – die natürlichen Farben von Stein und Erde verschmolzen mit Metallen, Juwelen und anderen Substanzen, die offenkundig von den Ihan-rii hierher gebracht worden waren. Alles hier unten war perfekt konserviert worden. Nichts war dem Wind, dem Sand, dem Wasser oder den hasserfüllten Händen von Protoss-Stämmen ausgesetzt gewesen, die entschlossen waren, auszulöschen, was sie nicht verstanden.

Jake dachte an die Welt an der Oberfläche, die Welt, die bis vor ein paar Augenblicken noch die einzige gewesen war, die er gekannt hatte. Mit einem Anflug von Demut dachte er an die Hütten, die kaum mehr waren als Stöcke, die von getrocknetem Schlamm zusammengehalten wurden und mit Häuten und Blättern gedeckt waren. Er dachte an ihre Werkzeuge, ihre Waffen und die Muster, mit denen sie ihre Körper schmückten. Er dachte an die Halsketten aus Knochen, Muscheln und Steinen, von seinem Volk mit Sorgfalt gearbeitet, und daran, dass er sie einst schön gefunden hatte.

Auf gewisse Weise waren sie das immer noch. Aber nichts, was er je an der Oberfläche gesehen hatte, nicht einmal die traurigerweise beschädigten Relikte der Ihan-rii selbst, hatte ihn auf das hier vorbereitet. Und irgendwie spürte Jake, dass er bislang nur einen kleinen Teil der Schönheiten gesehen hatte, die hier verborgen waren, sicher verwahrt, und warteten.

Darauf warteten, wieder gefunden zu werden von jemandem, der wenigstens versuchen würde, sie zu verstehen.

Er wusste, dass er die oberirdische Welt nie wieder so sehen würde wie bisher.

Savassan trat nun vor und blieb neben einer der Säulen stehen, die einst natürlich entstandener Stein gewesen war. Er besah sich die Juwelen und winkte Jake zu sich. Jake eilte zu ihm.

»Siehst du das?«, fragte Savassan seinen Schüler.

Und diesmal sah Jake es. In die Säule eingelassen war ein nunmehr vertrautes Rechteck aus Edelsteinen, die allesamt schwach leuchteten. Jake hob eine Hand, um das Ära’dor nachzufahren.

1 zu 1,6…

Jeder Edelstein begann in einer veränderten, sanfteren Version jenes Gesangs zu summen, den die Khaydarin-Kristalle an der Oberfläche angestimmt hatten. Jake berührte den letzten Stein. Der Gesang schwoll an, und für einen Augenblick erstrahlten die Juwelen, ehe sie wieder ihren vorherigen gedämpften Schimmer annahmen.

Ein leises Summen veranlasste die beiden Protoss, sich umzudrehen. Auf der gegenüberliegenden Wand erschien eine leuchtende Linie, und Jake kannte ihre Proportionen.

Die Linie bewegte sich sehr schnell, bildete ein Rechteck, leuchtete auf und verging dann. Im nächsten Moment bewegte sich das umrissene Rechteck mit einem dumpfen, knirschenden Geräusch nach links, und eine flache Plattform schob sich in den Raum.

Auf der Plattform lagen – glänzend, von schlangenartigen Ranken umschlungen und durchwirkt – sechs Körper. Die wunderbare Welt aus Träumen und Summen und leuchtender, strahlender Perfektion hatte sich soeben in einen Albtraum verwandelt.

Abscheu und Schrecken platzten aus Jake heraus und trafen Savassan so wuchtig, dass der andere Protoss ins Taumeln geriet. Jake selbst stürzte schwer auf den steinernen Boden und machte sich daran, auf allen vieren die Treppe hochzukrabbeln, zurück zur Oberfläche der Welt, die er kannte und verstand, fort von diesem Geheimnis, das sie nie hätten finden sollen…

Savassans Hand an seinem Fußknöchel veranlasste ihn, abermals geistig aufzuschreien, und es dauerte ein paar Sekunden, bis die besänftigenden Gedanken des älteren Shelak Jakes von Angst umnebeltes Gehirn durchdrangen.

»Sie sind schon lange tot, Temlaa. Sie werden uns nichts tun. Lange tot, trocken wie Gras. Hier gibt es nichts zu fürchten.«

Temlaa war keineswegs beruhigt. Warum waren die toten Protoss hier? Er ging zurück, langsam, nervös. Die Luft hier war, obschon atembar, sehr trocken. Sie war nicht wie die Luft an der Oberfläche oder auch nur die in einem normalen Höhlensystem. Der unnatürliche Mangel an Feuchtigkeit bedeutete, dass die Protoss nicht verwest, sondern ausgedörrt waren. Jake glaubte, dass sie, hätte er sie berührt, unter seinen Fingern zu Staub zerbröselt wären.

Sie hielten kurz inne und ehrten die Toten. Savassan sah sich um und streckte deutend einen Finger aus. Dieser Raum, so groß er auch sein mochte, war nicht der einzige. Ovale Tunnel, jeder vollkommen in seiner Unvollkommenheit, führten in fünf Richtungen davon.

Temlaa wühlte in der Tasche an seiner Hüfte und fand ein Stück Holzkohle. Er kniete sich hin und malte eine Markierung auf den Boden, dann stand er auf und besah sich die Tunnel.

»Woher sollen wir wissen, wohin wir müssen?« Abermals staunte Jake über die Größe, die Komplexität und die Schönheit dieses Ortes. Jahrhundertelang hatte er hier gelegen, unberührt, seit die Wanderer von Afar Aiur verlassen hatten – bis jetzt. Niemand kannte ihn. Niemand erinnerte sich daran. Niemand vermutete ihn auch nur hier.

Hatte je ein Protoss davon gewusst? War dieser Ort vergessen oder nie entdeckt worden? Und wirklich, woher sollten sie wissen, wohin sie mussten?

Savassan wog ihre Möglichkeiten ab. »Hier gibt es mehr Rätsel, als wir im ganzen Leben ergründen könnten«, sandte er. »Wir haben eines davon gelöst… das Ära’dor. Aber ich nehme an, dass dies eines von vielleicht Tausenden von Geheimnissen ist, die dieser Ort birgt. Wir sollten uns auf dieses eine konzentrieren. Folge dem Ära’dor, Temlaa.«

Jake nickte. Er besah sich die Lage der Höhle und zeigte auf den Tunnel, der am besten in die Anordnung zu passen schien.

Die beiden Protoss gelangten in einen anderen Raum, der fast genauso aussah wie der erste. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Herzschlaggeräusch zunahm. Jake brachte eine weitere Bodenmarkierung an. Sie schauten sich um, sahen weitere Tunnel und setzten ihren Weg fort.

Jake hinterließ alle paar Schritte eine Markierung. Immer wieder sah er über die Schulter nach hinten, als könnten die Geister dieser längst toten Protoss ihnen nachfolgen und die Wegmarkierungen auslöschen, damit die lebenden Eindringlinge sich den toten Bewohnern bald anschlossen.

Savassan sah ihn leicht belustigt an. »Du machst dir selbst Angst, Temlaa, und das ganz ohne Grund«, schalt er ihn, und Jake zog beschämt den Kopf ein.

Das Geräusch wurde mit jeder Entscheidung, die sie spiralförmig tiefer nach innen führte, lauter, bis sie schließlich den letzten Raum betraten.

Die Decke wölbte sich halbkugelförmig über ihnen. Das Rankengeflecht, das die sechs ausgetrockneten Toten umhüllt hatte -.

*

»Drähte«, dachte Jake in Zamaras Richtung. »Das sind Drähte, aber es sieht so aus, als wäre das Zeug auch irgendwie organisch.«

*

- baumelte nun hoch über ihnen, aber auch um sie herum. Hier drinnen gab es keine Toten, die Plattformen waren leer. Doch in der Mitte befand sich – schwebend und sich langsam auf und ab bewegend, und das ohne Zweifel seit Jahrtausenden – der größte, vollkommenste Kristall, den Jake je gesehen hatte. Er pulsierte, während er sich träge bewegte, und Jake stellte fest, dass dies die Quelle des Herzschlaggeräuschs war.

Für einen Moment vergaß er seine Angst, blickte den Kristall nur gespannt an, seiner strahlenden Schönheit und perfekten Form schier verfallen. Er betrachtete die Facetten, ihr perfektes Verhältnis zueinander, und hatte das Gefühl, als seien er und Savassan verwandt mit den vor Langem verschwundenen Wanderern von Afar, die Einzigen auf dieser verlassenen Welt, die wenigstens ein paar ihrer Geheimnisse verstanden.

Oder auch nur wussten, dass es hier überhaupt Geheimnisse gab.

Savassan sah sich aufmerksam um, wobei er seine Gedanken vor Jake abschirmte. Und das alarmierte Jake mehr als alles andere, was er an diesem Ort erlebt hatte.

»Was ist, Meister?«, fragte er, die alte respektvolle Anrede führend. Er fühlte sich Savassan nicht mehr ebenbürtig, sondern sehr jung und sehr dumm, als er zu dem schwebenden, pulsierenden Kristall aufsah.

»Ich glaube… ich verstehe«, sagte Savassan leise. »Ich glaube, die Antworten auf… nun, auf alles… liegen hier vor uns.«

*

Jake erwachte etwas später und blinzelte schläfrig zu dem Mann empor, der neben ihm stand. Der Mann, der -.

Jake schoss hoch, zog sich die Zudecke bis unters Kinn und blickte den Fremden verstört an.

»Guten Tag, Professor«, sagte der Mann. Er trug formelle Kleidung und schien etwas über sechzig Jahre alt zu sein. Sein eisengraues Haar war perfekt frisiert, seine blauen Augen wirkten etwas verblasst, aber immer noch scharf, seine Lippen waren dünn und bewegten sich kaum, als er sprach. »Sie sind in Sicherheit, das garantiere ich Ihnen. Ich bin Phillip Randall. Ich werde für die Dauer Ihres Aufenthalts Ihr Diener sein. Ethan Stewart hat diese Unterkunft für Sie eingerichtet und hofft, dass sie Ihnen zusagt. Wenn Sie mich bitte entschuldigen, dann werde ich ihn benachrichtigen, dass Sie nun wach sind. Er ist sehr gespannt darauf, Sie kennenzulernen.«

Randall ging zu einem großen Fenster und zog die schweren Vorhänge auf. Sonnenlicht strömte herein, und Jake schloss unter der anbrandenden Helligkeit für einen Moment die Augen. Randall neigte leicht den Kopf und verließ leise das Zimmer. Nun fiel es Jake allmählich wieder ein. Die Drogenhöhle… Leeza… der wilde Wettlauf ums Überleben… und Ethan Stewart, der im rechten Augenblick aufgekreuzt war, um sie zu retten, und dabei aussah wie aus dem Ei gepellt.

Er fragte sich, warum er so voller Groll auf jemanden war, dem er doch offensichtlich sein Leben verdankte.

Ungeachtet seiner Meinung über Stewart, konnte Jake am Geschmack des Mannes nichts aussetzen. Er sah sich im Zimmer um und verspürte dabei etwas, das an Staunen grenzte.

Etwas derart Opulentes hatte er bislang im Leben nur einmal gesehen, und zwar als er bei Valerian auf ein Glas Portwein gewesen war und mit ihm über die Entdeckung von Wundern gesprochen hatte. Dort hatte er sich im Widerschein alter Waffen und Rüstungen, im Glanz von Licht auf Metall und umgeben vom Geruch von Zigarren und Leder wiedergefunden. Aber es war auf eine ganz eigene Weise auch nüchtern gewesen, ein Raum zum Studieren und Trainieren und Nachdenken, der Rückschlüsse auf den Mann zuließ, der dort lebte.

Dieser Raum hier, der vielleicht ebenfalls Rückschlüsse auf seinen Besitzer erlaubte, war ganz darauf ausgerichtet, die Sinne anzusprechen.

Jake setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen ein pralles Kissen. Er lag auf cremefarbenen Laken, die sich schwer und weich anfühlten. Der Raum war kastanienbraun gestrichen, und der Schimmer von Kupfer zeigte sich an den Bettpfosten bis hin zu einer gepolsterten Bank am Fußende des Bettes.

Auf dem Nachttisch stand eine mit Obst gefüllte Schale -Weintrauben, Birnen, Orangen, Äpfel. Jake lief das Wasser im Munde zusammen. Richtiges Essen. Er schnappte sich einen Apfel, biss hinein und schloss die Augen, als der Geschmack in seinem Mund explodierte.

»Ich dachte schon, Sie würden noch einen ganzen Tag verschlafen.« Jakes Lider schnellten hoch.

Ethan Stewart lehnte grinsend im Türrahmen. Er wirkte auch jetzt so selbstsicher und sah immer noch so gut aus, wie er Jake auf dem Hover-Bike vorgekommen war, und Jake mochte ihn auch jetzt um keinen Deut mehr als zuvor.

»Sie sind also der Archäologe, der ein Alien im Kopf hat. Ich bin Ethan Stewart. Ich weiß nicht, wie viel Rosemary Ihnen über mich erzählt hat, aber ich streite vorsichtshalber alles ab.«

Jake brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass Ethan scherzte, dann lachte er unsicher.

»Aber im Ernst«, fuhr Ethan fort, »sie hat mir gesagt, dass Sie beide in letzter Zeit einiges durchgemacht haben.«

»Das ist eine Untertreibung«, sagte Jake leise.

Ethan wurde sofort sachlich. »Ja, ich weiß. Ich habe selbst einige Freunde durch die Marines und ihre Betreuer verloren. Außerdem bin ich sicher, dass Sie eine interessante Zeit hatten mit all den Protoss-Erinnerungen im Kopf. Ich möchte mich übrigens sehr entschuldigen für diese Sache mit Leeza. Sie und ich gingen seit ein paar Monaten getrennte Wege, und ich hatte seitdem nichts mehr von ihr gehört. Ich habe ihren Kontaktmann hier gefunden und mich um ihn gekümmert. Ich bedaure nur, dass Leeza so einen schnellen Tod hatte. Ich mag es nicht besonders, wenn man mich ausnutzt.«

Unter Anwendung dessen, was er bislang von Zamara gelernt hatte, tastete Jake sich vorsichtig durch Ethans Gedanken. Er wusste, dass R. M. Ethan vertraute, aber Jake wollte sich selbst davon überzeugen. Er verstand noch immer nicht recht, was Zamara wusste, das so wichtig war. Er wusste nur, dass es so war. Und er hatte zu viel durchgemacht, um einfach kehrtzumachen und sich Ethan Stewart wie ein Opferlamm anzubieten. Er brauchte Klarheit – würde dieser Mann sie verraten?

In allererster Linie und vor allem anderen war Ethan ehrlich wütend auf Leeza. Alles, was er gesagt hatte, stimmte, und Jake erhaschte einen Blick darauf, wie er sich um die Quelle »gekümmert« hatte. Er zuckte zusammen und suchte augenblicklich nach anderen Gedanken, um sich davon abzulenken.

Die Intensität der Gefühle, die Ethan für Rosemary empfand, überraschte ihn. Es war nichts so Zartes wie Liebe, nein, aber es war stark, und es war echt. R. M. hatte Recht gehabt, als sie sagte, es bestünde da ein Band zwischen ihnen.

Es würde einiges bedürfen, um Ethan dazu zu bewegen, etwas zu tun, das R. M. in Gefahr brachte.

Darüber hinaus erstaunte es ihn, wie sehr Ethan auf ihn selbst Acht gab. Jake war eine Gelegenheit, mehr nicht. Ethan hatte vor, ihn zu benutzen. Doch Jake spürte nichts in Ethans Geist, das mit Verrat oder Mord zu tun gehabt hätte.

Das musste ihm wohl genügen, nahm er an. R. M. war kein Engel, und Jake war bereits davon ausgegangen, dass Ethan seine Geschäfte weit jenseits dessen betrieb, was Legalität auch nur nahe kam. Natürlich wollte er da auch sehen, wie er aus Jakes Fähigkeit Profit schlagen könnte.

»Gefällt Ihnen, was Sie in meinem Kopf sehen?«, fragte Ethan grinsend.

Jake schrak zusammen. »Äh, ich – «

»Lassen wir den Mist doch, Jake. Sie können Gedanken lesen. R. M. hat Sie an die Marines ausgeliefert, sobald sie glaubte, es könnte ihr etwas einbringen. Und das Einzige, was Sie über mich wissen, ist, dass sie gern mit mir ins Bett geht. Sie wären kein Mensch, wenn Sie mir nicht misstrauten.« Ethans Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Andererseits nehme ich an, dass es da draußen durchaus Leute gibt, die sagen würden, dass Sie kein Mensch mehr sind. Oder nicht mehr ganz Mensch jedenfalls.«

»Äh…«, erwiderte Jake wieder ganz redegewandt.

Ethan wartete.

»Sie haben Recht«, sagte er schließlich. »Ich glaube nicht, dass es im Moment jemanden gibt, dem ich wirklich trauen kann. R. M. traue ich, weil sie momentan genau wie ich auf der Flucht ist.« Er überlegte, noch etwas anderes zu sagen, aber die fremde Präsenz in seinem Gehirn regte sich und meinte: Je weniger du sagst, desto besser.

Ich habe… wir haben… seine Gedanken gelesen. Er denkt nicht daran, mich oder Rosemary zu hintergehen.

Im Augenblick mag das stimmen, bestätigte die Präsenz. Aber Gedanken verändern sich von einem Moment auf den anderen. Und es ist möglich, auf telepathischem Wege zu lügen, wenn man weiß, wie.

Ach du Scheiße, dachte Jake, und er spürte, wie Belustigung von dem Protoss-Geist ausging.

»Na ja, vertrauen Sie mir ruhig – ich habe nichts übrig für alles, was offiziellen Kanälen auch nur ähnelt«, fuhr Ethan fort. »Ja, ich gebe es zu, ich denke darüber nach, wie ich diese Situation zu meinem Vorteil nutzen und ein wenig Gewinn herausschlagen kann. Aber so betrachte ich nun mal alles. Das liegt mir im Blut. Damit habe ich mir all das verdient.« Ethan hob in einer ausholenden Geste die Hände und meinte damit das riesige, behagliche und teure Zimmer, in dem momentan Jake Unterkunft bezogen hatte. »Sie sehen also, es hat seine Vorzüge.«

»In der Tat«, sagte Jake.

»Hören Sie, Rosemary und ich kennen uns schon ewig. Wir sind Söldner, ja, aber im Moment gereicht es uns allen dreien zum Vorteil, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, Sie am Leben zu halten und Sie nicht an Val auszuliefern. Darauf können Sie vertrauen.«

Jake blinzelte bei der Verwendung des Kosenamens »Val« für den Sohn von Kaiser Arcturas.

»Legen Sie Ihre Zweifel wenigstens so lange ab, dass es für eine schöne, heiße Dusche reicht. Hinter dieser Tür dort liegt ein Badezimmer. Richtiges Wasser. Ich mag meine kleinen Annehmlichkeiten, und die Leute, die ich beherberge, tun das in der Regel auch. Sie können mich beim Abendessen weiter ausfragen. Randall wird Sie abholen und begleiten, wenn es an der Zeit ist.«

Ethan zwinkerte ihm zu und schloss die Tür. Jake blieb noch einen Moment lang im Bett sitzen, dann stand er entschlossen auf und ging schnurstracks unter die Dusche.

*

Jake kam aus dem Bad und stellte fest, dass jemand in seinem Zimmer gewesen war.

Jemand, der hinterhältig und verschlagen war – und dem es gelungen war, hereinzukommen, um einen Smoking, ein Hemd, Manschettenknöpfe, einen Kummerbund und eine Fliege zu hinterlassen.

Der Smoking wartete geduldig an einer kleinen Hängevorrichtung neben dem Bett. Jake stand da, eingewickelt in das dicke, flauschige Handtuch, tropfte ein wenig und glotzte.

War es das, was es bedeutete, unsagbar, unbegreiflich und saumäßig reich zu sein?

Die Tür ging auf und Randall trat ein, ein Paar glänzender Schuhe in den Händen, von denen Jake wusste, dass sie ihm sehr wahrscheinlich perfekt passen würden. Randall nickte ihm zu, offenkundig ganz und gar nicht peinlich davon berührt, ihn in einem Handtuch zu sehen, und begann, Jakes Sachen für den Abend zurechtzulegen. Jake starrte ihn an und blinzelte; sein Denken war immer noch wie benebelt.

Der Professor hat vermutlich noch nie einen Smoking auch nur gesehen.

»Ich habe schon zweimal einen Smoking getragen«, platzte es aus Jake, auf einmal verärgert, heraus. Randall drehte sich ihm zu und hob in milder Überraschung eine Augenbraue. »Als ich für den Flinders Petrie Award für herausragende archäologische Leistungen nominiert war.«

Nominiert war ich zweimal, aber gewonnen habe ich ihn nie, dachte er, überrascht, dass der Gedanke ihn selbst jetzt, selbst in dieser Situation immer noch aufbrachte. Aber die Tatsache, dass er mit einem Alien im Kopf herumlief – dafür würden ihn die Preis-Komitees irgendwann mit irgendetwas auszeichnen, dessen war er sich gewiss.

Zu dumm nur, dass er nie Gelegenheit haben würde, es zu erfahren.

»Sehr wohl, Sir.«

»Also… äh, ja, danke, dass Sie die Sachen gebracht haben.« Er lächelte dem anderen Mann zu und wartete darauf, dass der sich verbeugte und ging. Doch Randall legte nur die Hände auf den Rücken und stand geduldig da.

»Randall?«

»Ja, Sir?«

Lieber Gott, was sagte man denn zu so jemandem? Randall schüchterte ihn furchtbar ein. »Äh… Sie können jetzt gehen.«

»Der Professor wünscht keine Hilfe beim Ankleiden für das Abendessen?«

»Nein, das wünscht der Professor nicht, und dem Professor wäre es auch lieber, wenn Sie aufhören würden, ihn in der dritten Person anzusprechen.« Diese Situation war für ihn fast so merkwürdig und fremdartig wie der Umstand, dass allnächtlich die Erinnerungen eines schon lange toten Protoss in seinem Kopf erwachten, als würde er sie selbst durchleben.